2004-07-30

Kerry redet sich warm

--- Unglaublich, John F. Kerry hat es geschafft, seine 46-minütige Rede (hier das vorbereitete Skript, von dem Kerry mehrfach abgewichen ist) auf dem Parteitag der Demokraten doch tatsächlich emotional rüberzubringen. Wir werden sicher im Nachhinein noch hören, welches spezielle Motivationstraining seine Spin Doctors vorher mit ihm absolviert haben. Die Medienwelt ist jedenfalls ziemlich begeistert, ob Blogger oder "Profi-Journalisten". Euphorisch geradezu zeigt sich der Korrespondent von Spiegel Online: Kerry zeigt Schweiß. Kerry zeigt Biss. Kerry macht Ernst. Zunächst verhalten, dann immer animierter und von sich selbst ganz mitgerissen, findet der Mann, den sie so lange als Wahlkampf-Wattebausch verhöhnt haben, seinen Tritt. Und beginnt zu kämpfen - mit großen Worten, donnernden Anklagen und hehren Versprechen, vor allem an die Seinen. ... John Kerry hält, wie alle Kommentatoren übereinstimmend befinden, die "Rede seines Lebens". Dabei gibt es inhaltlich absolut nichts Neues zu hören: "Ich werde die Vertrauens- und Glaubwürdigkeit des Weißen Hauses wiederherstellen", ruft er. "Ich werde ein Oberkommandierender sein, der uns nie in einen Krieg irreführt." Ständige Anspielungen auf die Vietnam-Erfahrungen, die Darstellung als verantwortungsvoller oberster Heeresführer, das alles war erwartet worden und läßt einen echten Kursumschwung erst einmal nicht vermuten. Die New York Times hat mitgezählt und kommt auf 17 Anspielungen auf "Stärke" bei einem Politker, der sich hauptsächlich als Gallionsfigur in einer "Nation im Krieg" darstellt. Aber anders funktioniert es im Amerika nach dem 11. September wohl nicht mehr. Menschlich jedenfalls kam Kerry erstmals so rüber, wie es sich seine Berater und Anhänger seit langem wünschen.

Die Convention-Blogger sind ebenfalls absolut begeistert: Incredible. He nailed it. I don't know how it looked on TV, but I can tell you that John Kerry pulled it off inside the hall tonight. Amidst some incredible security outside the Fleet Center, Kerry gave the speech of his life tonight when the pressure was the greatest. He somehow managed to straddle the line perfectly between giving the base its red meat to deal with their anger (something that Bill Schneider of CNN said he wouldn't do) while providing a vision and positive agenda for the voters he was trying to reach tonight. All I can say, without overstatement, is that the atmosphere during the speech and most importantly after it was nothing short of elation and electricity, schreibt der Left Coaster. Und LiberalOasis gibt Kerry eine glatte Eins, er habe alle Anforderungen an die Rede glatt erfüllt. Nur die rechten Blogger konnten sich naturgemäß auch dieses Mal nicht mit Kerry anfreunden. ihre Stimmen hat der InstaPundit gesammelt, der gleichzeitig erstmals Comments zu einem Posting zuließ -- auch eine Premiere.

Update: Wer sich John Kerry "reporting for duty" in voller Länge als Video reinziehen will: die Real-Version bei der Washington Post ist empfehlenswert.

Update 2: Eine Presseschau mit weniger euphorischen Stimmen europäischer Zeitungen gibts bei ftd.de