2004-10-07

Amtlich, offiziell, noch einmal bestätigt: Irak ohne Massenvernichtungswaffen

--- Die Iraq Survey Group (ISG), die offiziell im Auftrag der US-Regierung nach Massenvernichtungswaffen im Iraq suchen sollte, hat nun ihren Abschlussbericht vorgelegt. Zur rein quantitativen Stärke des Reports gibt es unterschiedliche Aussagen, die einen Medienberichte sprechen von 1500 Seiten, andere von knapp 1000 Seiten. Was immer manche Agenturen noch an Zusatzmaterial erhalten haben, der nach dem Chefinspektor Charles Duelfer benannte Wälzer ist auf der Website der CIA, die massgeblich an der Suche mit beteiligt war, online verfügbar (und wird dort mit 1000 Seiten ausgewiesen -- zum Glück gibt es auch eine Zusammenfassung der "Key Findings"). Agenturberichte vermelden im Rahmen der Vorstellung des Abschlussberichts: "Ich erwarte auch weiterhin nicht, dass im Irak militärisch signifikante Arsenale an Massenvernichtungswaffen versteckt sind", sagte der Leiter der "Iraq Survey Group", Charles Duelfer, gestern bei seiner Anhörung vor dem Streitkräfte-Ausschuss des US-Senats. Auch das Atomwaffenprogramm sei in den Jahren nach dem Golf-Krieg 1991 verfallen und nicht mehr von Bedeutung gewesen. Duelfer kam damit zu dem gleichen Ergebnis wie sein Vorgänger David Kay, der im Dezember vergangenen Jahres seinen Rücktritt erklärte und danach die Regierung von Präsident George W. Bush öffentlich kritisierte. ... Am 7. Oktober 2002 - mehr als fünf Monate vor Beginn des Kriegs - hatte Bush erklärt, dass der Irak "chemische und biologische Waffen besitzt und herstellt sowie Atomwaffen anstrebt". Diese auf Informationen des Geheimdienstes zurückgeführten Angaben dienten der US-Regierung als Hauptgrund für den Beginn des Krieges am 20. März und den Sturz Saddam Husseins am 9. April 2003. Der Bericht von Duelfer steht damit in deutlichem Widerspruch zu der offiziellen US-Begründung für die Invasion. Eine weitere Herausforderung also für die Spindoktoren im Weißen Haus, aber wirklich neu ist sie ja nicht, denn die Ergebnisse des abschließenden ISG-Berichts sind bereits seit längerem bekannt und ergänzen inhaltlich auch nur den Vorbericht des Gremiums. Bush spielt jedenfalls weiter die immer gleiche Leier: "Es gab ein Risiko, ein wirkliches Risiko, dass Saddam Hussein Waffen, Material oder Informationen an terroristische Netzwerke hätte weitergeben können", sagte der Präsident. "In der Welt nach dem 11. September 2001 war dies ein Risiko, das wir nicht tragen konnten." Man kann es nicht mehr hören. Mehr zum Thema u.a. in der New York Times. Daily Kos erinnert zudem an eine bezeichnende Äußerung von US-Vizeverteidigungsminister Wolfowitz und gibt sich bissig: Of course, as we were long ago told by Paul Wolfowitz, WMDs were chosen as a casus belli not because they represented a real threat but for "bureaucratic reasons." In other words, they knew they could simultaneously enrage and scare the shit out of the American people by saying that Iraq was joined at the hip with al Qaeda, and the next 9/11 might be a Saddam/Osama nuke in Seattle or a smallpox outbreak in Los Angeles. The ISG report should provide great comfort to the families of soldiers and Marines returning lifeless to Dover Air Force Base.

Update: Stefan Kornelius kommentiert Bushs Spinning rund um die Irak-Krieg-Frage in der Süddeutschen Zeitung: Bush bricht alle Regeln der Auseinandersetzung, indem er ungestraft Halbwahrheiten in die Welt setzen und Zusammenhänge konstruieren kann. Der Mann ist nicht redlich – aber er musste bisher keinen Preis dafür zahlen. ... Der Präsident verschärft die Auseinandersetzung also, indem er Fakten ignoriert und Behauptungen aufstellt. Er legt dabei die gleiche Terrier-Attitüde an den Tag, mit der er nach der Wahl 2000 den Sieg an sich gerissen hat. Der Stil ist schwer erträglich – aber er verspricht Erfolg. Bushs permanente Grenzverletzung in der politischen Auseinandersetzung wird in den USA hingenommen, weil das historische Gedächtnis kurz und die Lust an der deftigen Auseinandersetzung groß ist. Ein Kandidat wird eher an seinen Heilsversprechen gemessen als an seiner Fähigkeit, die Geschichte ehrlich aufzuarbeiten und Rhetorik und Redlichkeit zu vermählen.