2004-11-29

Wikinews treibt Open Journalisms voran

--- Nach Wikis, Weblogs und Meta-News-Portalen wie Google News oder Indymedia kommen aus dem Hause der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia nun die Wikinews. Wired News hat einen der ersten Artikel über das sich noch im Demo-Stadium befindliche Projekt, das die Debatten über das Internet und seine Auswirkungen auf den Journalismus weiter beflügeln dürfte: The current rendition of Wikinews is an experimental version that, according to Wikipedia co-founder Jimmy Wales, offers just a taste of what's to come when the news effort builds momentum. Although Wikipedia already posts entries tied to current events, Wales said the Wikinews effort employs a different writing style and approach."Wikipedia has always been very strong for background articles on things that are in the news," Wales said. "But on Wikinews, each story is to be written as a news story as opposed to an encyclopedia article." ... Wales believes the process of collaborative editing has allowed Wikipedia -- which contains more than 1 million entries in more than 75 languages -- to maintain a neutral tone on a wide variety of controversial topics. He expects the same process to prevent bias in Wikinews coverage."The incentive for behavior in a wiki is to write in such a way that your writing can survive," he said. "The only way it can survive is if your writing is acceptable to an extremely wide audience." Alex Halavais, graduate director for the informatics school at the University at Buffalo, said in an e-mail interview ... "One of the things mainstream media does, for better or for worse, is report on news they expect will drive sales," he said. "This means ignoring foreign news, for example, in many cases, because a local audience is not as interested. Since there is not the same economic incentive, the question is what the agenda of Wikinews will look like.

Das Projekt ist auf jeden Fall theoretisch interessant, seine praktische Relevanz wird es aber erst beweisen müssen. Auf der Demo-Site ist zumindest ein echter Mehrwert nicht zu erkennen -- weder bei der Auswahl der Themen, noch bei ihrer Qualität oder ihrem Stil. Die Frage, warum sich jemand kostenlos als Autor beteiligen sollte, stellt sich ja auch noch deutlich stärker als bei der "zeitlosen" Wikipedia, an der vermutlich auch viele Forscher und Wissenschaftler mitbasteln (die anderweitig bezahlt werden). Zumal die Autorenkollektive ja auch nicht benannt werden, die einen Artikel zusammenstellen, eine "Bezahlung" durch die Währung Aufmerksamkeit also nicht direkt gegeben ist. Allenfalls soll laut Wales eine Art "Redaktionsteam" der fleißigsten Zulieferer namentlich gewürdigt werden. Wir dürfen gespannt sein, ob sich hier eine ernsthafte Konkurrenz oder sinnvolle Ergänzung zu den zahlreichen anderen Informationsquellen in der vernetzten Welt auftut.

Update: Die deutsche Wikinews-Hauptseite findet sich übrigens hier. Und einen Artikel zum Start in heise online gibt es auch.

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Redaktionen von PR überrollt?

--- Über den Einfluss der PR auf den Journalismus hat es schon viele Untersuchungen seit den 1980ern gegeben. Während der Tenor meist war, dass zwar hohe Anteile (zwischen 80 und 90 Prozent) der Texte, die über die Medien laufen, irgendwie auch PR-lanciert sind, aber doch noch einiges an Eigenrecherche drin steckte, scheinen die Bastionen des "Qualitätsjournalismus" nun noch kleiner zu werden. Die will zumindest Journalistikprofessor Michael Haller von der Uni Leipzig herausgefunden haben: Auf dem Journalistentag zum Thema "Embedded Forever -- Verkommt der Journalismus im bequemen Bett von PR und Marketing?" (Programm als PDF) erklärte er: Die Macht der PR geht einher mit der Ohnmacht der Journalisten. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit nimmt seiner Ansicht nach personell ausgedünnte Redaktionen verstärkt in den Griff. Dies zeige auch die seit mehreren Jahren laufende Benchmarking-Studie des Instituts für Journalistik der Universität Leipzig: Das Gros der befragten Journalisten
hält demnach PR-Texte notwendig für die tägliche Arbeit. Dennoch sank seit 1993 die für Recherche zur Verfügung stehende Zeit von 130 Minuten auf 90 Minuten pro Tag. Haller: Das ist ein dramatischer Rückgang. Wir haben deutliche Anzeichen, dass durch Produktionsdruck und schwindende Manpower in den Redaktionen die Tendenz zu unkritischer Berichterstattung wächst. Dieser Trend, so Haller, sei inzwischen aber auch bei personell gut ausgestatteten Tageszeitungen festzustellen. Als Beispiel nannte er das Hamburger Abendblatt, das zahlreiche Artikel bringe, die sich nur auf Public Relations stützen und auf Recherche verzichten. Die kontinuierliche Analyse des Lokalteils von sechs Regionalzeitungen habe ergeben: Von 1998 bis jetzt stieg die Zahl der Texte, die nur eine Quelle nennen, von rund 20 auf rund 30 Prozent. Diese so genannte Einbahnstraßen-Berichterstattung sei oft weit weg von journalistischen Qualitätsstandards, weil sie wie ein Briefträger häufig nur die Botschaft des Absenders transportiere. Die Schuld sieht Haller weniger bei den Kollegen in den Redaktionen, als bei jenen Verlegern, die mit Sparmaßnahmen die Leistungskraft der Redaktionen herunterfahren.

Disclaimer: auch dieses Posting beruht auf einer Pressemitteilung (von der Uni Leipzig) und fährt so mit in der Einbahnstraße ;-)

Ukraine: Der Ton wird härter - auch die Debatte um Hintermänner

--- Mit einem gewaltfreien raschen Sieg der Opposition und der sanften Revolution in Kiew wird es wohl doch nichts: Die Lage ist hochexplosiv, titelt beispielsweise Spiegel Online und verweist auf die drohende Eskalation: Die Opposition hat Präsident Kutschma ultimativ aufgefordert, die Regierung und abtrünnige Gouverneure zu entlassen. Spezialeinheiten des Innenministeriums haben Stellung bezogen. Heute wird das Oberste Gericht über die Manipulationsvorwürfe der Opposition entscheiden. ... Der heißeste Punkt im kalten Kiew ist um Mitternacht ein etwa zehn Meter breiter Korridor vor der mächtigen Säulenfassade des Präsidentenpalasts. Hier stehen Spezialeinheiten der Regierung von Wiktor Janukowitsch Anhängern von Oppositionsführer Wiktor Juschtschenko unnachgiebig gegenüber. Die aus dem Osten der Ukraine in heruntergekommenen Bussen eingefahrene Spezialtruppe von Präsident Leonid Kutschma steht wie eine dunkle Mauer vor dem weißen Gebäude mitten in der Stadt. Die Visiere ihrer schwarzen Helme sind heruntergeklappt, die Hände umfassen die Waffen. Vor den Vollstreckern der geballten Staatsmacht stehen Betonbarrikaden, die von den Demonstranten mit mannshohen Trauben orangefarbener Luftballons dekoriert wurden. Auf der anderen Seite des nasskalten Korridors ein ganz anderes Bild. Dort stehen orange gekleidete Menschen ohne Waffen - doch ebenso entschlossen, nicht zu weichen und weiterhin dafür zu sorgen, dass der Präsident oder ein Mitglied der Regierung nicht in den Palast kommt.

In vielen internationalen Blogs kocht das Thema derzeit ebenfalls hoch: Der amerikanische Politologe Daniel Drezner etwa beleuchtet anhand von Pressemeldungen den geopolitischen Hintergrund und verweist auf ein Time-Ukraine-Special mit einem Bericht zur künftigen Beziehung zwischen den USA und Russland: However the disputed election finally plays out, it has undermined the Bush Administration's cozy relations with Putin, at least behind the scenes. In his first term, Bush was willing to give Putin a free hand in what Russia calls the "near abroad," the states that spun off from the broken Soviet Union. At the same time, Bush has made encouraging democracy around the world a central pillar of his presidency. In Ukraine, those two policies clash mightily. Wie andere Blogger greift Drezner auch die hauptsächlich im Guardian von Ian Traynor vertretene These auf, dass etwa gar vor allem die CIA die ukrainische Oppositionsbewegung stütze, hält sie aber für wenig glaubhaft: to suggest that the U.S. government was the architect behind the massive demonstrations that ousted Slobodan Milosevic, Eduard Shevardnandze, and are threatening Leonid Kuchma overlooks a) The genuine resentment these leaders have generated among their populations; and b) The ability of the U.S. government to "coordinate" such a disparate bunch of organizations (Traynor's thesis requires the Bush administration to be in league with George Soros). There's an element of the paranoid style in these reports that sounds... vaguely familiar. Zudem nicht zu vergessen, dass die andere Seite natürlich die volle Unterstützung von Putin und seinen Spindoktoren hat, also definitiv (auch) nicht unbeleckt ist. Bei Bloggern direkt aus Kiew wie dem TulipGirl geht derweil die Angst um, dass das Kriegsrecht ausgerufen und hart gegen die Demonstranten vorgegangen wird. Dort auch eine Übersicht über andere Blogs mit dem aktuellen Schwerpunkt Ukraine wie das ebenfalls für die BOBS nominierte EuroPhobia oder das Gruppenblog Fistful of Euros.

Auch hier ein paar Update: Telepolis wirft die Frage auf, ob die pro-oppositionelle Berichterstattung nicht doch etwas einseitig ist, während sich die Opposition jetzt nicht mehr verhandlungsbereit zeigt gegenüber der Staatsmacht. Ob sie damit die rasche Wiederholung der Wahl erzwingen kann oder die Lage insgesamt nur weiter verschärft? Siegessicher zeigt sich Juschtschenko jedenfalls.

Mehr Misshandlungen bei Bundeswehr gemeldet

--- Coesfeld ist kein Einzelfall. Nach Reporten über Misshandlungen in Ahlen meldet die Bild-Zeitung heute einen neuen "Folter-Fall" aus Kempten: Jetzt aber die ersten Horror-Berichte aus Bayern. Willfried Penner, der Wehrbeauftragte des Bundestags, sagte BILD: „Es gibt eine Eingabe aus Kempten. Auch dort sollen Rekruten nach einem Nachtmarsch mit verbundenen Augen in einen feuchten, kalten Keller gesperrt worden sein.“ Wegen der vielen jetzt bekannt gewordenen Mißhandlungen an Bundeswehr-Rekruten hat Verteidigungsminister Peter Struck eine Überprüfung der gesamten Bundeswehr angeordnet. Der SPD-Politiker kündigte an, daß Fehlverhalten unnachgiebig verfolgt werde. Struck weiter: Die Schwere des Fehlverhaltens der Ausbilder in Coesfeld gebe Anlaß zu größter Sorge. Agenturen vermelden die Nachricht bereits eifrig weiter. Sadismus scheint insgesamt bei der Bundeswehr (aber vermutlich auch in zahlreichen anderen Armeen) doch recht weit verbreitet zu sein. Struck wird sich bei seinem heutigen Truppenbesuch ganz schön ins Zeug legen müssen.

Update: In Nienburg an der Weser sollen Rekruten bei der Ausbildung gefesselt worden sein (Fall 4). Und die Berliner Morgenpost/Welt hat eine zum Thema passende "Pilotstudie" über "Gewalt gegen Männer" im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ausgegraben: Knapp 60 Prozent der befragten Männer über 18 Jahren gaben demnach an, während ihres Militärdienstes "schikaniert, unterdrückt, schwer beleidigt oder gedemütigt" worden zu sein. 29 Prozent wurden "gezwungen, etwas zu sagen, oder zu tun, was sie absolut nicht wollten". 15, 9 Prozent der Befragten behaupteten, "richtig eingesperrt, gefesselt oder anderweitig in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt" worden zu sein. 10,3 Prozent wurden "erpreßt oder bedroht". 5,6 Prozent hatten "Verletzungen wie Schnittwunden, Knochenbrüche, Quetschungen oder Verbrennungen durch andere" erlitten. 2,8 Prozent wurden "geschlagen, geohrfeigt, getreten oder verhauen". ... Befragt wurden 107 Männer, die Wehrdienst geleistet hatten. "Das Ergebnis ist daher nicht repräsentativ", sagt Walter. "Es liefert aber wichtige Indizien für weitere Nachforschungen."

Diese Geschichte wird sich wohl endlos updaten lassen: Jetzt wird also auch noch von Scheinerschießungen berichtet. Schwacher Trost: auch in Großbritannien gibt es Hinweise auf Misshandlungen von Rekruten.

2004-11-28

Guerrilla-Kämpfer wollten Bush angeblich ermorden

--- Alt-marxistische guatemalische Widerstandskämpfer wollten Bush bei seinem Besuch in Lateinamerika vergangene Woche um die Ecke bringen, weiß die LA Times: Marxist rebels tried to organize an assassination attempt against President Bush during his visit to the port city of Cartagena last week, a top Colombian official said Saturday. Defense Minister Jorge Alberto Uribe told reporters in Bogota that the Revolutionary Armed Forces of Colombia, a 17,000-member rebel group known as the FARC that has been fighting Colombia's government for four decades, had plotted to kill Bush. ... "Through informants and various sources, we had information indicating that different groups of the FARC had been instructed by the secretariat that they would attempt to assassinate President Bush," Uribe said in a report carried by Caracol Television. White House and other U.S. officials refused to discuss the reported plot Saturday. Ob mehr als eine Anschwärzung der von der Regierung ungeliebten Rebellen dahinter steckt?

2004-11-27

Rot-Grün versagt in Grundsatzpolitik

--- Armutsbericht als Armutszeugnis: Das dürfte Schröder, Roth und Bütikofer nicht sonderlich gelegen kommen, was der Spiegel da kurz vor Weihnachten enthüllt. In sechs Jahren rot-grüner Koalition sind die sozialen Unterschiede in Deutschland größer geworden. Es geht um den Entwurf des Zweiten Berichts der Bundesregierung zu den "Lebenslagen in Deutschland", kurz Armutsbericht genannt. In monatelanger Fleißarbeit haben Wissenschaftler und die Planungsabteilung des Sozialministeriums alle Zahlen, Daten, Fakten zusammengetragen, die Aufschluss geben über das materielle Wohl der Menschen im Land. Es gelte, so der von der Bundesregierung wohl formulierte gesetzliche Auftrag, eine "detaillierte Analyse der sozialen Lage" zu liefern - als "Basis für eine Politik zur Stärkung sozialer Gerechtigkeit und zur Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabe". Umso peinlicher für Rot-Grün ist nun das vorläufige Ergebnis. In schonungsloser Offenheit zählt der Report auf, wie die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt im Oktober 1998 fast alle verteilungspolitischen Ziele verfehlte (siehe Grafik). "Soziale Ungleichheit ist eine Tatsache", heißt es gleich auf der ersten Seite des Berichts, "und in manchen Bereichen ist sie in den letzten Jahren gewachsen":

Der Anteil der - laut EU-Definition - von Armut betroffenen Haushalte stieg seit 1998 von 12,1 Prozent auf 13,5 Prozent. Der Besitzanteil der Reichsten am Gesamtvermögen wuchs weiter. Die Zahl der überschuldeten Haushalte nahm um 13 Prozent auf 3,13 Millionen zu. Bildungschancen, so der Bericht, werden "vererbt". So hätten Sprösslinge von Gutverdienern eine 7,4fach größere Chance, ein Studium aufzunehmen, als Kinder aus einem Elternhaus mit niedrigem sozialem Status.

Ein schlechteres Zeugnis hätte sich die Regierung kaum ausstellen können. Kanzler Schröder war immerhin angetreten, "nicht alles anders, aber vieles besser" zu machen. Persönlich wollte Schröder, selbst Kind aus armem Hause, dafür sorgen, dass sich mit seiner Regentschaft die "individuellen Teilhabe- und Verwirklichungschancen" verbessern würden.


Und wenn es "nur" die Sozial- und Bildungspolitik wäre. Aber auch etwa in Fragen der Inneren Sicherheit bzw. des Datenschutzes hat sich unter Rot-Grün so gut wie nichts verändert. Im Gegenteil: der rote Alt-Sheriff Schily hat den Becksteins und Schönbohms der Konservativen längst den Rang abgelaufen. Auch beim Umweltschutz, den die Grünen doch eigentlich "groß" gemacht haben, gibt es keine positiven Nachrichten. Die Regierungskoalition wird sich in den verbleibenden knapp zwei Jahren ihrer Legislaturperiode anstrengen müssen, doch noch mehr eigene Akzente zu setzen.

Korruptes Deutschland -- die Medien bleiben ruhig

--- Gestern hat das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) seinen jüngsten Report zur Korruption mit EU-Mitteln in den Mitgliedssstaaten veröffentlicht. Wie unser Leser Stefan zurecht bemerkt, fällt die Berichterstattung über die Tatsache, dass Deutschland in dem Index an 2. Stelle steht, etwas zahm aus. Die Welt hat zwar eine starke Schlagzeile für ihren Bericht gewählt, schreibt dann aber hauptsächlich darüber, wie andere Länder Gelder zweckentfremden. Außerdem sei das schlechte Abschneiden Deutschlands erklärbar: Die Tendenz ist steigend: 1,5 Milliarden Euro aus dem Budget der EU wurden im zurückliegenden Jahr zweckentfremdet; zum gleichen Zeitraum im Vorjahr waren es "nur" 850 Millionen Euro. 443 Fälle hat die EU in dem betreffenden Zeitraum abgeschlossen, und 578 neue Ermittlungen aufgenommen. Der Großteil der Korruptionsfälle betrifft die Fonds für EU-Agrar- und Regionalförderung. Olaf-Chef Franz-Hermann Brüner warnte allerdings davor, eine besondere "Korruptionskultur" in bestimmten Ländern auszumachen; so spielten die unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen eine wichtige Rolle bei der Anfälligkeit für Betrug. In den großen Agrarländern Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und den Niederlanden wird demnach am meisten in der Landwirtschaftshilfe zweckentfremdet.. Bei Spiegel Online erfährt man dagegen nicht einmal genau, welchen Platz Deutschlands Verwaltung und Wirtschaft erreicht haben: in der Statistik der Übeltäter seien sie "vorne mit dabei", heißt es nur. Wer sich näher mit dem Korruptionsphänomen beschäftigen will, muss daher wohl oder übel sich bei OLAF selbst durch die Website klicken oder bei Transparency International vorbeischaun.

2004-11-26

Ukraine: Sanfte Revolution in Aktion

--- Die Anhänger des oppositionellen Juschtschenko-Lagers scheinen mit ihren friedlichen Demonstrationen nach dem umstrittenen Wahlsonntag in Kiew Erfolg zu haben. Wie in vielen Ostblock-Ländern zuvor, verliert die Staatsmacht mehr und mehr an Unterstützung: Die rhythmischen SBU-Rufe waren Ausdruck einer neuen überraschenden Begeisterung für den Sicherheitsapparat und einer tiefen Erleichterung darüber, dass das Unerwartete geschehen war: Der Geheimdienst lief - zumindest in Teilen - zum Volk über. Sechs hochrangige Generäle erklärten ihre Solidarität mit den Demonstranten. Und auch der frühere Verteidigungsminister Jewgenij Martschuk wurde fahnenflüchtig. Die Hoffnungen, dass Ukrainer nicht auf Ukrainer schießen werden, erfüllen sich damit Schritt für Schritt. Jetzt, so ist man überzeugt, könnten nur noch die Einheiten des russischen Präsidenten Wladimir Putin gefährlich werden ... Die Staatsmacht unter Präsident Leonid Kutschma, den viele nur noch "Verbrecher" nennen, hat angesichts der jüngsten Erosion erneut einen schweren Rückschlag erlitten. Zuvor hatten sich bereits andere wichtige Repräsentanten und Institutionen von der Staatsführung losgesagt: der Kiewer Bürgermeister Oleksandr Omeltschenko, die Kiewer Stadtpolizei, der Kiewer oberste Staatsanwalt. Dazu kamen gestern führende Mitglieder der Nationalbank und die mächtige Gewerkschaft. ... Heute Morgen gingen die Blockadeaktionen weiter: Demonstranten versperren nun auch den Zugang zur Nationalbank und zum Amtssitz des Präsidenten. Wie eine Kriegserklärung nahm das Juschtschenko-Lager heute Morgen einen Beitrag im "Urjdowyj Kurier" auf. Das Regierungsblatt veröffentlichte die Wahlergebnisse vom vergangenen Sonntag, obwohl das Oberste Gericht gestern einem Antrag von Juschtschenko stattgab und entschied, die Wahlergebnisse dürften noch nicht öffentlich verkündet werden. Ein aufschlussreiche Reportage zu den Umbrüchen und dem Ärger über die weitgehend simulierte Wahl gibt es auch in der Welt. Putin hat sich dagegen selbst mit Blindheit geschlagen und faselt noch etwas von "Das Volk hat seine Wahl getroffen".

Weiterer Etappensieg für die Oppositionsbewegung: Das ukrainische Parlament hat die Präsidentenwahl für ungültig erklärt -- bindend für die Staatsmacht ist das Votum aber nicht (so ist das nun mal oft in "Demokratien", in der EU läuft es zumindest im ganzen Bereich Sicherheitspolitik nicht anders).

Update: Telepolis geht im Artikel The Revolution WILL be Blogged auch auf die zahlreichen (teils von Ausländern) betriebenen Blogs in Kiew und in in der Ukraine ein, die über die andauernden Demonstrationen und Zeltstädte berichten.

Iran zwischen Bocken und Einlenken

--- Iran verharrt auf Bushs Abschussliste, während die Verhandlungsstrategie der Europäer hat einen Rückschlag erlitten, so die New York Times: Iran refused Thursday to abandon plans to operate uranium enrichment equipment that could be used either for energy purposes or in a nuclear bomb-making project, European and Iranian officials said. The refusal threatened to scuttle a nuclear agreement Iran reached 10 days ago with France, Britain and Germany to freeze all of Iran's uranium enrichment activities, the European officials added. It also gave new ammunition to the Bush administration, which asserts that Iran has a secret nuclear weapons program and cannot be trusted. The impasse coincided with the opening of crucial meetings to review Iran's nuclear program at the International Atomic Energy Agency here, the United Nations nuclear monitoring body that has the authority to refer Iran to the United Nations for possible censure or sanctions. Mohamed ElBaradei, the agency chief, said in a speech on Thursday that Iran had so far failed to meet its pledge to freeze fully its uranium enrichment because of its insistence on operating 20 centrifuges for research. Noting Iran's long history of concealment of its nuclear activities, Dr. ElBaradei said: "A confidence deficit has been created, and confidence needs to be restored. Iran's active cooperation and full transparency is therefore indispensable."

Update: Die LA Times berichtet heute allerdings, dass die US-Geheimdienste so gut wie nichts wissen über die Ausmaße des iranischen Atomwaffenprogramms -- kommt irgendwie bekannt vor.

Update 2: Drei Tage später berichtet die New York Times nun, dass der ">Deal mit den Europäern von den Persern doch noch gerettet worden sei und Iran von einigen Forderungen, die eine Uran-Anreicherung ermöglicht hätten, Abstand genommen habe. Bush werde davon wohl enttäuscht sein, heißt es weiter, weil er auf einen verschärften Kurs im UN-Sicherheitsrat gegen Iran dränge und sich ein solcher nun zunächst nicht abzeichne. Ein Hin und Her ist das mal wieder.

Irak: Verhandlungen mit Rebellen geplant

--- Die irakische Interimsregieriung will mit den Aufständischen verhandeln, berichtet die New York Times: The Iraqi foreign minister said Thursday that the interim Iraqi government planned to meet soon in Jordan with rebel leaders to try to persuade them to take part in politics here. It was the first time the government had agreed to an official meeting with leaders of the insurgency. The minister, Hoshyar Zebari, did not give a date for the meeting or specify who would be invited. He said Iraqi officials had agreed to the meeting after being asked by various diplomats at a conference this week in Egypt to open discussions with the resistance. "The aim is really to reach out to as many people as possible both inside and outside" of Iraq, Mr. Zebari said at a news conference. The government welcomes "the broader participation of Iraqis, even those who are oppositionists, in this process" of politics, he said, "if they renounce violence and terror." The rebel leaders to be invited will be "some people who are of political and tribal backgrounds," he said, declining to elaborate. American and Iraqi officials say much of the insurgency is being financed by wealthy loyalists to Saddam Hussein who fled to bordering countries before the American-led invasion in March 2003. Many are believed to be helping to organize the insurgency from Syria and Jordan, and funneling millions of dollars to the ground troops of the rebellion.

Ob da wohl auch al-Sarkawi eingeladen wird? Der hat sich inzwischen angeblich behaglich in Mossul eingerichtet: American military officials said Thursday that three more bodies had been discovered in Mosul, a city of two million 225 miles north of Baghdad that has emerged as one of the biggest problems for the Americans. One was a Kurdish militiaman and another appeared to be an Iraqi soldier, said Lt. Col. Erik Kurilla, commander of the First Battalion of the 24th Infantry. Both had been shot. The identity of the third has not been determined. Hundreds of insurgents stormed and looted a half-dozen police stations in Mosul on Nov. 11, spurring 3,200 of the city's 4,000 police officers to quit. Since then, the city has remained unstable, with at least three dozen Iraqi bodies, mostly security officers, turning up in various parts of the city, some decapitated or killed with shots to the head.

Update: In Mossul hat die US-Armee inzwischen bereits 65 abgeschlachtete Leichen irakischer Polizisten oder Nationalgardisten gefunden, während sich die Aufständischen schön versteckt halten.

"Neue Soziale Marktwirtschaft" im Visier der Linken

--- Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft scheint Gewerkschaften und organisierter Linken inzwischen mehr als ein Dorn im Auge zu sein. Nachdem Rudolph Speth für die gewerkschaftsnahme Hans-Böckler-Stiftung bereits ein Gutachten über die von Gesamtmetall finanzierten Spindoktor erstellt hatte, beschäftigen sich nun auch die Netzwerker der SPD mit dem Thema. Die Nachwuchspolitiker lassen sich von Speth am 2. Dezember im Reichstag das Prinzip der INSM erklären, die seit fünf Jahren jährlich zehn Millionen Euro für PR, Werbung, Medienpartnerschaften und, und, und den Reformwillen der Deutschen erhöhen will. Finanziert ist sie für weitere fünf Jahre. "Kampagnen des Kapitals - Über die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", nennt Speth seinen Vortrag, der zuvor in seinem Gutachten die Initiative gelobt hatte und den Gewerkschaften geraten hat, sich ein Beispiel an der INSM zu nehmen, um eigene Themen stärker in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Dazu hat gestern die Böckler-Stiftung einen "makroökonomischen Kongress" veranstaltet. Danach soll künftig nicht nur über Kündigungsschutz, Mitbestimmung, Strukturreformen und Lohnzurückhaltung geredet werden (Themen, die die INSM protegiert), sondern gemeinsam mit Politik, Arbeitgebern, Europäische Zentralbank und Wissenschaftlern nach Wegen für mehr Wirtschaftswachstum gesorgt werden. Welcome back, Mr. Keynes!

2004-11-25

Pentagon will Kampf gegen Terror-Netze verbessern

--- Lange zieht sich durch die Statements sämtlicher Terrorismusexperten schon die Weisheit, dass man neue Terrornetzwerke wie al-Qaida auch nur mit neuen, auf diese Netzstrukturen eingehende und antwortende Methoden bekämpfen kann. Der Forschungsarm des Pentagon, die Defence Advanced Research Project Agency (DARPA) hat jetzt ein entsprechendes Programm aufgelegt, das eine in diese Richtung gehende Computerlösung hervorbringen soll, berichtet Telepolis: In der Darpa wird im Rahmen einer Ausschreibung der Abteilung Information Exploitation Office (IXO) um Vorschläge für Computerprogramme gebeten, mit denen sich "Kommandostrukturen des Feindes erkennen und ihre Störung bewirken" lassen (Tools to Identify an Enemy's Command Organization and Manage its Disruption). Ausgeschrieben wurde das Projekt am 10.11., eingereicht werden müssen Papiere mit Vorschlägen bereits am 10.12. Es muss also möglichst schnell gehen, was angesichts der Probleme im Irak auch nahe liegt. ... Gewünscht werden Programme, mit denen sich in den "feindlichen Kommandoorganisationen Prozesse der Entscheidungsfindung erkenn und stören" lassen. Offenbar geht man auch hier wieder von hierarchischen Strukturen aus, obgleich flache oder verteilte Netzwerkorganisationen von Aufständischen bereits in das neue Handbuch für "Counterinsurgency Operations" der Army eingegangen sind ... Die Darpa versteht ihr Anliegen als einen Aspekt des Informationskrieges. Zentral dafür sei eben das Verständnis und die Beeinflussung von menschlichen Entscheidungsfindungsprozessen innerhalb einer Kommandostruktur. ... Ähnlich wie Aufständische und Terroristen versuchen, mit Überfällen und Anschlägen schwache Punkte zu treffen und den Gegner zu lähmen, wäre es auch interessant, so die Darpa, "dynamische und zeitabhängige materielle oder informatorische Mittel zur Beeinflussung von Elementen und Verbindungen der feindlichen Kommandoorganisation" zu besitzen. Man wünscht sich also Ideen, an welchem Ort und zu welcher Zeit man zuschlagen soll, um den unbekannten Gegner am besten zu treffen und seine Operationen zu stören. Militärische Angriffe würden dann eben auch eher den Charakter von punktuellen Anschlägen annehmen (woran man sich auch deswegen orientiert, weil man "Kollateralschaden" durch den massiven und stets ungenauen Einsatz von Waffen medien- oder informationstaktisch vermeiden muss). Da können wir ja gespannt sein, ob das Vertrauen auf die Technik statt auf gute alte Spione vor Ort dieses Mal erfolgreicher ist als bei den ganzen Hightech-Kriegsphantasien, die im Irak-Krieg wenig genützt haben.

2004-11-24

MilBlogs und militärische Spin-Portale

--- Mit den andauernden Kämpfen im Irak geraten auch die MilBlogs, die Front-Tagebücher von GIs, immer wieder in den Fokus der Medien. Eine Übersicht gibt es beispielsweise beim Weekly Standard. Auch die britische Times hat jüngst groß über die "Military Blogger" berichtet. Doch natürlich sind vielen Führungskräften die Blogs von der Front zu heiß, und es gab bereits Zensurauflagen. Nun sehen auch eine Handvoll amerikanischer Veteranen das Bild des US-Soldaten durch die MilBlogs ein wenig außer Kontrolle geraten. Sie haben daher mit der "Operation Truth" ein Portal aufgebaut, wo sie den Nachrichten von der Front ihren eigenen Spin zu geben versuchen. Aus dem "Mission Statement": Operation Truth is a non-profit 501(c)(4), non-partisan veterans' organization that seeks to amplify the soldiers' voice in the American public dialogue. American servicemen and women have a voice that deserves to be heard; the issues and hardships troops face merit attention. Additionally, American troops have a distinct and important perspective that can influence the American political scene in a powerful way. NBC hat die Ziele der "Operation" allerdings wohl etwas missverstanden, denn dort wird die Site unter dem Aufhänger: "Straight from the front lines" vorgestellt -- obwohl es mit dem "straight" ja gerade nicht sonderlich weit her ist. So ganz scheint sich der Gründer der von Optruth aber auch nicht klar zu sein, ob er die MilBlogs nun gut finden soll oder nicht: "It's changed the connectivity. You can find out pretty much immediately what's going on from the front if a soldier picks up a keyboard," says Paul Rieckhoff, founder of the Web site Optruth.org. "These soldiers go back to their bases at the end of the night and basically create a diary saying, 'This is what it was like for me today.'"

Pro & Contra: Blogger und Massenmedien

--- Das Thema ist quasi ein Dauerbrenner und der Spindoktor hat ihm auch schon häufiger Aufmerksamkeit geschenkt: Sind die Blogger die neue Meinungsmacht und im Endeffekt gar die besseren Journalisten? Oder sind die Hobby-Journalisten Verdreher der Fakten, die sich mit den Profi-Spindoktoren und -Realitätsvermittlern höchstens noch ein "race to the bottom" liefern? Oder ist der Widerspruch etwa gar nur konstruiert? Diesem "heißen Eisen" hat sich das ver.di-Magazin M - Menschen Machen Medien in seiner aktuellen Ausgabe (dort übrigens auch mal wieder ein Beitrag von Rudolf Speth zur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) angenommen: der Spindoktor und der Medienjournalist Holger Wenk lassen sich dazu aus. Die Zusammenfassung kann ich mir eigentlich sparen, denn die gibt es schon im Dienstraum. Jedenfalls geht der Spindoktor davon aus, dass der in den Online-Journalen teils zutage tretende Kontrast zwischen alten und neuen Medien gar nicht so groß ist:beide sind Teil ein und desselben Informationsuniversums und verstärkt aufeinander angewiesen.

Zum Thema erreichte mich auch schon eine Zusendung von Robert von Pickings.de. Er schreibt: Mir fällt kein Argument ein, weshalb nicht auch Blogs zu Massenmedien aufsteigen sollten und sie dann Themen vorgeben könnten. Das immer wieder angeführte Qualitäts und Objektivitäsargument zieht meines Erachtens nicht. Die Bildzeitung beweist es ja. Prima, so können wir gleich noch eine Weile weiter diskutieren über die Zukunft des Bloggens und der Mainstream-Medien. Futter gibts natürlich auch aktuell immer wieder in den alten Medien, etwa im Weblog-Special des Guardian oder in der Frankfurter Rundschau zur Rolle der US-Blogger nach der Wahl (Links aus der Schockwellenreiter-Kategorie "reich und berühmt"). Und der Google-Werbung sei dank: da fand sich doch auch mal was Gescheites dabei, nämlich ein großer Blog-Bericht aus Foreign Policy unter dem Titel "Web of Influence": What began as a hobby is evolving into a new medium that is changing the landscape for journalists and policymakers alike.

Update: Mehr zum Thema jetzt auch bei Politically Incorrect, wo die "Contra"-Aussage kritisiert wird.

2004-11-23

Ukraine: Heftige Turbulenzen nach der Stichwahl

--- Nun sind die Massenmedien endgültig in Sachen Ukraine-Wahl aufgewacht und berichten auf breiter Front von Wahlfälschungen des Russland-freundlichen Präsidentschaftskandidaten, der sich in der knappen Endausscheidung einfach mal zum Sieger gekürt hat -- sein Gegner inzwischen aber auch. Agenturmeldungen gibts beispielsweise bei ftd.de: Nach dem umstrittenen Wahlausgang in der Ukraine will die Opposition das Ergebnis annullieren lassen. Der ukrainische Oppositionspolitiker Wiktor Juschtschenko hat sich zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt und bittet um internationale Anerkennung. Nach einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur Interfax sagte Juschtschenko am Dienstag, er habe die Stichwahl gewonnen. "Wir appellieren an die Parlamente und Nationen der Welt, den Willen des ukrainischen Volkes und sein Streben nach einer Rückkehr zur Demokratie zu unterstützen", hieß es in einer Erklärung, die Juschtschenkos Büro herausgab.Die Wahlkommission hatte zuvor erklärt, dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge habe Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch die Wahl gewonnen. Doch viele größere Städte erkennen das Ergebnis schon jetzt nicht an und erklärten Juschtschenko zum neuen Präsidenten. ... Den Protesten gegen das vorläufige amtliche Endergebnis schlossen sich am Dienstag in der Hauptstadt Kiew mehrere Zehntausend Menschen an. Die Demonstranten warfen der Regierung Wahlbetrug vor und feierten in Sprechchören Juschtschenko. Einige schwenkten georgische Flaggen - in Anspielung auf die dortigen Massenproteste vor genau einem Jahr, die zum Sturz des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse führten. Juschtschenko rief seine Anhänger zu einem Marsch auf das Parlamentsgebäude auf. ... Sollten die Abgeordneten in der Sondersitzung nichts unternehmen, würden die Anhänger Juschtschenkos "Straßen und Flughäfen blockieren und Stadthallen besetzen", sagte Sprecherin Julija Timoschenko. ... Im Westen wurden Sorgen über Betrug und massive Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung vom Sonntag laut. Bundesaußenminister Joschka Fischer äußerte sich besorgt über Mängel bei der Präsidentenwahl in der Ukraine und forderte eine Überprüfung der Abstimmung. "Es bestehen begründete Zweifel an den amtlichen Ergebnissen der Stichwahl zu den Präsidentschaftswahlen", sagte er am Dienstag. ... Auch die USA forderten von der Ukraine eine Aufklärung der Betrugsvorwürfe. Ansonsten müsse die US-Regierung ihre Beziehungen zu dem osteuropäischen Land überprüfen, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Adam Ereli, am Montag. "Wir sind sehr besorgt wegen der Wahl in der Ukraine." Die US-Regierung appellierte an die ukrainischen Behörden, ihren demokratischen Verpflichtungen gerecht zu werden und sicherzustellen, dass das Wahlergebnis den Willen des Volkes widerspiegele. Letzeres ist pikant, denn es häufen sich die Hinweise, dass auch bei der US-Präsidentschaftswahl Anfang November vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.

Mal sehen, wie das mit der noch jungen Demokratie in der Ukraine und der schon deutlich älteren in den USA weitergeht. Dort wächst jedenfalls derzeit die Unzufriedenheit mit der Bush-Agenda, berichtet die New York Times: At a time when the White House has portrayed Mr. Bush's 3.5-million-vote victory as a mandate, the poll found that Americans are at best ambivalent about Mr. Bush's plans to reshape Social Security, rewrite the tax code, cut taxes and appoint conservative judges to the bench. There is continuing disapproval of Mr. Bush's handling of the war in Iraq, with a plurality now saying it was a mistake to invade in the first place.

2004-11-22

Tod in der Moschee: Kevin Sites bloggt Offenen Brief

--- Kevin Sites, der "eingebettete" Freelance-Reporter und Weblogger, der die Erschießung eines Unbewaffneten in einer Moschee in Falludscha filmte, hat gestern seine Beweggründe zur Veröffentlichung des Tapes in Form eines Offenen Brief an "seine" Marines-Einheit in seinem Online-Tagebuch dargelegt. Ein lesenswertes Stück: Since the shooting in the Mosque, I've been haunted that I have not been able to tell you directly what I saw or explain the process by which the world came to see it as well. As you know, I'm not some war zone tourist with a camera who doesn't understand that ugly things happen in combat. ... This week I've even been shocked to see myself painted as some kind of anti-war activist. Anyone who has seen my reporting on television or has read the dispatches on this website is fully aware of the lengths I've gone to play it straight down the middle -- not to become a tool of propaganda for the left or the right. But I find myself a lightning rod for controversy in reporting what I saw occur in front of me, camera rolling. It's time you to have the facts from me, in my own words, about what I saw -- without imposing on that Marine -- guilt or innocence or anything in between. Den Rest selber lesen, nur soviel: es wird klar nach Sites Erklärung, dass die verwundeten Männer in der Moschee eigentlich schon von einer früheren Marines-Gruppe "gefilzt", aber dann doch nicht versorgt oder verhaftet worden waren. Bei einem der Marines des zweiten Trupps brannten dann die Sicherungen durch. Interessant dann Sites weitere Abwägungen: We were part of a video "pool" in Falluja, and that obligated us to share all of our footage with other networks. I had no idea how our other "pool" partners might use the footage. I considered not feeding the tape to the pool -- or even, for a moment, destroying it. But that thought created the same pit in my stomach that witnessing the shooting had. It felt wrong. Hiding this wouldn't make it go away. There were other people in that room. What happened in that mosque would eventually come out. I would be faced with the fact that I had betrayed truth as well as a life supposedly spent in pursuit of it.



Und der Hinweis auf ein Vorgespräch mit einem Offizier, das zu der "moralischen Versuchung" im Posting von gestern passt: I interviewed your Commanding Officer, Lieutenant Colonel Willy Buhl, before the battle for Falluja began. He said something very powerful at the time-something that now seems prophetic. It was this: "We're the good guys. We are Americans. We are fighting a gentleman's war here -- because we don't behead people, we don't come down to the same level of the people we're combating. That's a very difficult thing for a young 18-year-old Marine who's been trained to locate, close with and destroy the enemy with fire and close combat. Link via Weblogsky bzw. boing boing.

Update: Das war wohl unvermeidbar: Ein texanischer Congress-Abgeordneter will in Reaktion auf Sites' Aufnahmen die "eingebetteten" Reporter noch stärker an die Kandarre nehmen: While some charge that embedded reporters are often too protective of the military, Sylvestre Reyes (D-Texas) feels they are dangerous loose cannons, and says it's time to consider revoking their privileges. During a hearing of the House Armed Services Committee, Reyes compared the conflict it to a football game, saying, "We don't want to know everything that's going on on the field." Reyes says this is not censorship. In his words, "We should not be providing the Al-Jazeera the kind of propaganda they've had the last couple of three days."

2004-11-21

Bush: Iran baut die Bombe

--- Bush vertraut mal wieder dem europäischen Verhandlungskurs gegenüber Iran nicht und sieht die Mullahs weiter eifrig am Bombenbasteln: President Bush increased the administration's pressure on Iran on Saturday, saying there were indications that the country was speeding forward in its production of a key ingredient for nuclear weapons fuel, a move he said was "a very serious matter'' that undercut Iran's denials that it was seeking to build weapons. On the first day here of the annual gathering of Pacific Rim leaders, his first summit meeting since winning re-election, Mr. Bush also tried to re-establish a unified front against the other nuclear challenge facing his second term: North Korea. ... He told reporters on Saturday that he was "concerned about reports" that said Iran appeared "willing to speed up processing of materials that could lead to a nuclear weapon." Diplomats had said the day before that Iran had told the International Atomic Energy Agency that it was racing to produce uranium hexafluoride, a gas that can be enriched into bomb fuel, before it begins to observe the temporary suspension of nuclear activity that it negotiated with the Europeans. Following Mr. Bush's assertion on Saturday that Iran had accelerated its uranium enrichment, Mr. Powell appeared at a news conference here with Foreign Minister Ignacio Walker Prieto of Chile and was asked to provide details to back that up but declined to do so. He said that in the past four years, as a result of American cries of alarm about Iran's intentions, the international community was now "as concerned as we are" about the problem. Bush habe die "Achse des Bösen" wiederbelebt, titeln nun so manche Online-Ticker.

Auch die Welt am Sonntag will zahlreiche Belege gefunden haben, dass in Iran versteckt die A-Bombe gebaut wird. Als Ali Akbar Soltani vor zwei Wochen in Moskau von Journalisten gefragt wurde, ob sein Land schon in der Lage sei, die Atombombe zu bauen, da muß Herr Soltani für Momente wohl nicht ganz bei sich selbst gewesen sein. Anders ist nicht zu erklären, daß Soltani nicht tat, was seines Amtes ist, nämlich die außenpolitischen Interessen seines Landes zu schützen. "Natürlich", so die reizende Antwort des stellvertretenden Generaldirektors des Teheraner Außenministeriums, "selbstverständlich haben wir dafür alles Notwendige. Auch und vor allem talentierte Wissenschaftler." Welche das sind, und wo einige von ihnen arbeiteten, wußte am Mittwoch letzter Woche Farid Soleimani zu erzählen, als er in Wien vor die Presse trat. Der Repräsentant der umstrittenen iranischen Oppositionsgruppe der Volksmudschaheddin enthüllte brisante Einzelheiten über das iranische Atomprogramm. Wenn sie stimmen, könnten sie den am vergangenen Montag mühsam gefundenen Kompromiß zwischen Europa und dem Iran im Streit um dessen Nuklearprogramm gefährden. Die Illusion von Sicherheit - sie währte nicht mal eine Woche. Nichts genaues weiß man also mal wieder nicht, offiziell wollen die Perser aber weiterhin ihr Nuklearprogramm am Montag einstellen.

Enthauptungsvideos als ultimative moralische Versuchung

--- Die Welt am Sonntag bringt heute einen zunächst im New York Times Magazine erschienenen Artikel von Michael Ignatieff über die blutigen "Porno-Gewaltvideos" aus dem Irak.: Nachdem er zunächst wenig erhellendes zur Videokamera als angeblich "neuer" Waffe schreibt, kommt Ignatieff dann doch noch zur Sache: Die Videos verkünden, daß es in einem besetzten Land keine unschuldigen Ausländer gebe. Eines der jüngsten Opfer Margaret Hassan, Direktorin für Care International im Irak hatte einen bemerkenswert starken Unschuldsanspruch. Ihr Mann war Iraki, und sie lebte seit 30 Jahren im Land, half beim Bau von Kliniken, insbesondere einer Abteilung für Rückenmarksverletzungen. Ihre Patienten setzten sich in ihre Rollstühle und begaben sich auf die Straßen, um mit Transparenten in arabischer Sprache Hassans Freilassung zu fordern. ... Ihr Video war eine gezielte Bombe auf unsere Hoffnung, daß es für Ausländer möglich sei, Gutes im Irak zu bewirken. Das Video, in dem sie um ihr Leben bettelt, warnt die Iraker: Niemand, der in Verbindung mit einem Ungläubigen steht, ist unschuldig. Die Rituale der Demütigung, die sich in diesen Videos abspielen, beabsichtigen einen Teil der arabischen Bevölkerung zu befriedigen. Diese Propaganda stellt ein Jahrtausend der komplexen Wechselwirkung zwischen der muslimischen und der nicht-muslimischen Welt als lange Litanei der Scham dar, die durch die Kreuzzüge, die französischen und britischen Imperialisten und schließlich durch die Israelis und deren amerikanische Zahlmeister der arabischen Welt aufgezwungen wurde. Mit den Videos zahlt man zurück. ... Ein Terrorist, der sein Handwerk beherrscht und zweifelsfrei ist Al Zarkawi ein solcher , versteht uns besser, als wir ihn zu verstehen scheinen. Er weiß, daß die einzige Chance, einen amerikanischen Rückzug zu erzwingen, darin besteht, den politischen Willen der amerikanischen Wähler zu beeinflussen ... seine Kalkulation basiert darauf, daß er nicht verlieren kann. Wenn wir bleiben, so seine Wette und Abu Ghraib bestätigt, wie scharfsinnig er ist , werden wir ihm dadurch helfen, daß wir einen schmachvollen Sieg davontragen, indem wir genauso grausam werden wie er selbst. Er hält die Videos für eine ultimative Form moralischer Versuchung, eine Falle, in die wir, wie er hofft, tappen werden. Aber er hat vergessen, daß die Wahl immer noch bei uns liegt, nicht bei ihm.

2004-11-20

Abu Ghraib in Coesfeld?

--- Laut dem Spiegel hat nun nach der US-Armee auch die Bundeswehr endlich ihren "Folterskandal": Die Staatsanwaltschaft Münster ermittelt gegen einen Hauptmann und 17 Unteroffiziere einer in Coesfeld stationierten Ausbildungskompanie der Bundeswehr. ... Nach Informationen des SPIEGEL sollen die Unteroffiziere, fast alle im Rang eines Feldwebels, zwischen Juni und September dieses Jahres viermal mit Rekruten zum Abschluss der Grundausbildung ein grausames Spiel gespielt haben - eine so genannte Geiselbefragung. Auf Nachtmärschen seien die jungen Soldaten in einen Hinterhalt gelockt, überfallen, mit Kabelbinder gefesselt und auf einem Lastwagen - über die Köpfe graue Stiefelbeutel gestülpt - in die Kaserne gekarrt worden. Dort, in einem Dusch- und einem Kellerraum, hätten sie kniend vor einer Wand verharren müssen und seien mit Wasser bespritzt worden. Zwei Soldaten sollen mit Stromstößen, die die Induktionsspannung eines Feldfernsprechers lieferte, "im Hals-, Leisten- und Bauchbereich" gequält worden sein. Die Ermittler haben auch Hinweise darauf, dass die Exzesse gefilmt und fotografiert wurden. Scheint ja tatsächlich was schief gelaufen zu sein -- aber muss man das dann gleich mit Abu Ghraib vergleichen? Die Relationen sind da doch stark verschoben und es ist schon ein Unterschied, ob Gefangene in großem Maßstab misshandelt oder ein Ausbildungsdrill mal in die völlig falsche Richtung ausschlägt. Aber die "Folter-Exzesse" werden die Medien wohl die kommenden Tage gut beschäftigen.

Update: Die Berliner Zeitung hat die Peiniger in Uniform inzwischen zum Tagesthema erhoben. Darin wird auch auf Spinnereien Strucks verwiesen: Überraschend wortkarg gibt sich bislang Verteidigungsminister Peter Struck (SPD). Als im Mai dieses Jahres Vorwürfe aufkamen, Angehörige der Bundeswehr hätten Gefangene im Kosovo so misshandelt wie Amerikaner Iraker im berüchtigten Militärgefängnis Abu Ghoreib, hatte er die Vorwürfe brüsk zurückgewiesen und zugleich einen politischen Ausfallschritt gewagt: "Die Wehrpflicht", dozierte Struck, "wäre ein zusätzlicher Schutzwall gegen solche Vorkommnisse." Er glaube, dass Wehrpflichtige "ein gesundes demokratisches Bewusstsein in die Armee bringen und dass sie erkennen würden, so behandelt man keine Menschen." Wenig später begannen in Coesfeld die "Geiselbefragungen".

Falludscha: Peinliche Aufklärungspannen

--- Angeblich wurden in Falludscha die Überbleibsel von al-Sarkawis "Hauptquartier" gefunden. Doch was dabei auch noch alles bekannt wurde, spricht nicht für die Aufklärungsgüte der Amerikaner: Gleichzeitig fanden US-Marines etwas, was den USA und der irakischen Regierung einigen Spott einbringen dürfte. Ein großes, kaum zu übersehendes Haus mit der großen, ebenfalls kaum zu übersehenden Anschrift: "Al Qaida Organisation". Man muß sich vor Augen halten, daß in den Wochen und Monaten vor der Offensive die US-Luftwaffe fast täglich Häuser in Falludscha bombardierte, weil sie angeblich von Zarkawis Terroristen genutzt wurden, die sich mittlerweile offiziell zur Al-Qaida-Zweigstelle im Irak erklärt haben. Grundlage all der Bombenangriffe waren Angaben irakischer "Informanten", auf die man sich einiges einbildete. Das große Haus mit der großen Anschrift übersahen sie jedoch irgendwie, vielleicht weil die Anschrift auf arabisch war und weder leuchtete noch blinkte. Man kann nur hoffen, daß die vielen Bomben nicht auf die Häuser einfacher Familien fielen, aufgrund falscher Angaben von Leuten, die in Wahrheit mit den Rebellen sympathisierten und durch hohe zivile Opferzahlen den Haß auf die Amerikaner steigern wollten. Es würde erklären, warum bei diesen Angriffen so viele Zivilisten starben. Wie dem auch sei, Zarkawi thronte anscheinend wirklich in Falludscha. In der Al-Qaida-Zentrale fanden Soldaten Dokumente, Computer, Notizhefte, Korane und einige Leichen. Unter den Dokumenten befanden sich zwei Briefe Zarkawis an ranghohe Untergebene. Ein Brief war an ihn gerichtet, mit der Bitte um Geld und Unterstützung. In der Nähe wurde eine Bombenwerkstatt gefunden. Ein Jeep mit US-Kennzeichen, wie sie von privaten Sicherheitsleuten im Sold der US-Armee benutzt werden, befand sich dort gerade zur Umgestaltung als Höllenmaschine. Zarkawi selbst entkam jedoch ganz offensichtlich, und auch das Rückgrat seiner Organisation scheint intakt. Möglicherweise ist er nun in Mosul. Dort jedenfalls, so hieß es gestern auf einer Internetseite, hätten er und seine Leute "auf offener Straße und vor großem Publikum" zwei Offizieren der irakischen Nationalgarde die Köpfe abgeschnitten.

Bilder von den blutigen Kämpfen in Falludscha gibt es übrigens im Blog Fallujah in Pictures.

Update: Die New York Times bringt am Sonntag eine Reportage über das Überleben, Töten und Sterben der Marines in der Schlacht um Falludscha. Und diesen Link auf eine Liste der im Irak gefallenen Soldaten der "Koalition der Willigen" hat dankbarerweise ein Leser durchgegeben.

2004-11-19

Speakersnight: Komischer Auftritt der Pressesprecher

--- Gestern abend lud der Bundesverband deutscher Pressesprecher zur 1. Speakersnight in die Berliner Staatsoper. Bei seiner kleinen Gala waren sich die Chefverkäufer von Firmen-, Partei- und Verbandsinteressen nicht zu schade, einen Preis für die schlechteste Berichterstattung von Journalisten zu vergeben ("fauler Apfel"). "Sieger" wurde Oliver Schröm, der für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung das Stück "Der Gesichtsverlust" geschrieben hatte. Die Begründung der Pressesprecher: "Er behandelt darin den Terroranschlag von Djerba und die Folgen - zu einseitig und ohne alle Beteiligten zu Wort kommen zu lassen, wie die BdP-Mitglieder befanden." Und: es sei "unsauber recherchiert, bewusst falsch gemeldet, unfundiert berichtet"worden. Aber warum nur? Der Autor reagiert: "Wie mir mündlich von Ihrem Verbandspräsidenten mitgeteilt wurde – eine schriftliche Begründung liegt mir leider noch nicht vor -, soll ich den Preis erhalten, weil ich die Sichtweise von TUI nicht dargestellt und den Pressesprecher des Konzerns nicht angerufen hätte. Meines Erachtens sprechen die schriftlichen Äußerungen der leitenden TUI-Mitarbeiter sowie des Anwalts für sich selbst - deutlicher als sie irgendjemand übersetzen könnte. Wollte sich der Reiseveranstalter - unabhängig von der Schuldfrage – von der zynischen Haltung seines Anwalts distanzieren, stünde im das bewährte Instrument der Pressemitteilung zur Verfügung. Es wurde in den vergangenen Monaten hierfür nicht genutzt." Schröm vermied es, selbst zu erscheinen - wer reist schon gern freiwillig zu seiner eigenen Hinrichtung? Entsprechend reagierte er per schriftlicher Stellungnahme. Unter den Gästen machte sich der Eindruck breit, dass hier ein Fall von beleidigter Pressesprecher vorgelegen haben muss. Offenkundig hatten sie es bei ihrem Online-Voting zum schlechtesten Artikel nicht ertragen können, wenn sie die Kommunikation über ihr zu vermarktendes Produkt nicht unter Kontrolle haben - unabhängig davon, dass der Anwalt der Familie im konkreten Fall gezielt auf die Medien zugegangen ist, um den Fall so in den Zeitungen beschrieben zu finden. Vielleicht sollten sich die Pressesprecher fragen, ob sie in Zukunft nicht so arbeiten sollten, dass sie auch angerufen werden. Überhaupt, wozu ein Preis für eine Ente - und dann noch von Pressesprechern? Eitelkeit des Verbandes, Aufmerksamkeitssucht? Viel geklatscht wurde jedenfalls nicht. Ach ja, es wurde auch ein "goldener Apfel" für die "beste" Geschichte vergeben.

Update: Fotos vom Event bei AEDT.

Aushöhlung der Demokratie -- Medien mit schuld?

--- Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, macht sich in einem Interview mit den Suttgarter Nachrichten Sorgen um die Demokratie in der Mediendemokratie: Die schleichende Auszehrung der Parlamente macht mir Sorgen. Hinzu kommen bestimmte Erscheinungen der Mediendemokratie, in der Talk-Shows zu Ersatzparlamenten werden und eine Informationsverdünnung, eine Simplifizierung zu beobachten ist, die jeden halbwegs komplexen Stoff unterdrückt. Drittens wird unser Regierungssystem durch den Vertrauensverlust von Politikern und Parteien geschwächt. Zusammengenommen stellen diese Aspekte die vielleicht größte Bedrohung für die repräsentative Demokratie dar, weil sie sie von innen her aushöhlen. Hohl sind Teile der Medien ja tatsächlich oft, aber die Schuld lässt sich sicher nicht nur den Reportern in die Schuhe schieben, die Politiker machen ja kräftig mit bei der Inszenierung. Aber immer mal wieder ein paar Warnungen in die Richtung Medien- und Politikwelten können ja nicht schaden, Thierse macht das ja auch immer wieder ganz gern.

2004-11-18

Big Brother Eichel schaut aufs Konto

--- Ab Mai 2005 haben die deutschen Finanz- und Sozialbehörden sowie die Arbeitsämter vollen Zugriff auf alle Konten - ohne Gründe, Verdachtsmomente oder richterliche Anordnungen versteht sich und ohne die Betroffenen zu informieren. Dafür soll Oberfinanzminister Hans Eichel im Dezember 2003 gesorgt haben, als Bundesregierung und Opposition im Vermittlungsausschusses des Bundesrates über Gott und die Welt verhandelten. Schnell wurde das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" durchgewunken, dass die Totalkontrolle der Einkommen aller Bürger ermöglicht. Nachdem nun Report und auch der Spiegel berichtet hatten, wächst die Front gegen Big Brother und das Ende des Bankgeheimnisses. Den "Schnüffelstaat" wollen jetzt laut AP "eine kleine Volksbank in Raesfeld, ein Notar in Borken, beides imMünsterland gelegen, und der Münchner Professor Gunter Widmaier" verhindern und haben Verfassungsbeschwerden eingereicht. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar, hat sich jetzt eingeschaltet und Änderungen verlangt. Eichels Sprecher, die gerne sauber Recherchiertes kaltschnäuzig dementieren, räumen der Klage natürlich keine Chancen ein. „Von einer Transparenz derVerhältnisse des Bürgers kann keine Rede sein“, heißt es.

Inzwischen werden der Dauer-Angstmacher Terrorismus und die leeren Staatskassen dazu genutzt, alle rechtsstaatlichen Regeln zu plündern.

Update: Bei heise online fragt man nach dem Grund für die sehr späte Aufregung um das Schüffelgesetz: Nachdem c't schon im vorigen Oktober über die Begehrlichkeiten des Finanzministers und die Durchlöcherung des Bankgeheimnisses berichtete und die Abfragemöglichkeit nun schon eineinhalb Jahre in Betrieb ist, warum regt sich die Republik erst jetzt auf? Wahrscheinlich haben nicht nur die Abgeordneten im vorigen Dezember gepennt, sondern auch die Medien. Nun lagen sie lange auf der Lauer nach einem aktuellen Anlass. Der war jetzt wohl gegeben durch die Verfassungsklage der Volksbank Raesfeld, die diese Praxis für nicht grundgesetzkompatibel hält. ... In allem Lamentieren über den Tod des Bankgeheimnisses ist allgemein untergegangen, dass es zwar ein im Grundgesetz verankertes Postgeheimnis gibt, aber kein entsprechendes Grundrecht eines Bankgeheimnisses. Vielleicht wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt, dies Versäumnis nachzuholen.


Update 2: Nach dem ersten Wirbel rechtfertigt sich jetzt Rot-Grün, die gerne weltoffen und bürgernah wirken wollen, für das Gesetz. Joerg-Otto Spiller, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: "Zur Steuergerechtigkeit gehoert, dass die Steuergesetze gleichmaessig und konsequent angewandt werden. [...] Der Gesetzgeber muss die Steuerehrlichkeit durch Kontrollmoeglichkeiten, die die Belastungsgleichheit gewaehrleisten sollen, abstuetzen. Die Steuerpolitik der Koalition sorgt fuer mehr Gerechtigkeit." Den Spin kann man dem Gesetz natürlich auch geben. "Die Koalition hat daher die Moeglichkeit, Angaben von Steuerpflichtigen ueber Kapitalertraege und ueber Ertraege bei Wertpapierverkaeufen zu ueberpruefen, verbessert. Die Finanzbehoerden koennen nun in begruendeten Einzelfaellen bei den Kreditinstituten Kontenstammdaten der Steuerzahler abfragen." Begründet werden muss da leider gar nichts mehr. "Sie koennen also feststellen, bei welchem Kreditinstitut ein bestimmter Steuerpflichtiger ein Konto oder Depot hat. [...] Stellt sich bei dieser Abfrage heraus, dass der Steuerpflichtige bei seinen Ertraegen ein Konto oder Depot nicht angegeben hat, wird er um Aufklaerung gebeten." Danke, dem freundlichen Finanzbeamten.

Merten und Medientenor vergleichen sich

--- Der Bonner "Medientenor" und der Kommunikationswissenschaftler Professor Klaus Merten von der Uni Münster haben einen Vergleich geschlossen. Merten hatte dem Medientenor vorgeworfen, unwissenschaftliche Medienanalysen durchzuführen. Hier die Pressemitteilung von Merten im Wortlaut: "Klaus Merten, Professor für empirische Kommunikationsforschung in Münster, und das Bonner Institut Medien Tenor haben ihren Rechtsstreit vor dem Berliner Landgericht am Dienstag beigelegt. Merten: "Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Verhandlung. Ich fühle mich in meiner Sicht der Dinge bestätigt. Das Vergleichsangebot vom Medien Tenor zeigt, dass meine wissenschaftliche Kritik anerkannt wird." Der Münsteraner Professor war vom Bonner Institut Medien Tenor verklagt worden, weil er seine Kritik am 'Mediendax' angeblich als Wettbewerber und nicht als Wissenschaftler geäußert haben soll. Der nun geschlossene Vergleich sieht unter anderem vor, dass Merten seine Kritik als Wissenschaftler weiterhin frei äußern darf. Damit ist der Weg frei für eine grundlegende Diskussion über die Qualität von Medienresonanzanalysen. „Wir müssen Qualitätsstandards definieren, die der Branche brauchbare Ergebnisse liefern." Dazu gehört nach Merten, dass jede Analyse einer uneingeschränkten wissenschaftlichen Überprüfung standhalten muss. Wichtige Qualitätskriterien sind die eindeutige Definition der Erhebungs- und Analyseeinheit und die Nachvollziehbarkeit des Vorgehens. Münster, den 12. November 2004." Zur Debatte findet sich einiges bei der FU Berlin. Zu guter Letzt noch ein Link zur Medienresonanzanalyse nach Merten und zu dessen Unternehmen.

Grüne warnen vor Berlusconisierung Europas

--- Erwartungsgemäß hat der neue EU-Kommissionspräsident Barroso im zweiten Anlauf seine Mannschaft in Brüssel beim Parlament doch noch durchgebracht.: Für das Kollegium stimmten 449 Abgeordnete, dagegen 149, 82 enthielten sich. ... Ursprünglich hätte Barroso sein Mandat bereits am 1. November antreten sollen. Ende Oktober hatte er das geplante Votum über sein Team in letzter Minute jedoch abgesagt, um eine drohende Ablehnung der gesamten Kommission im Parlament zu verhindern. Einzelne Bewerber waren zuvor auf zum Teil massive Kritik gestoßen. Insbesondere der Italiener Rocco Buttiglione hatte duch seine Äußerung, Homosexualität sei Sünde, für Aufsehen gesorgt. Nach der Ablehnung der ersten Liste hatte Barroso Buttiglione durch Franco Frattini als Innenkommissar und die Lettin Ingrida Udre durch Andris Piebalgs ersetzt. Außerdem erhielt der Ungar Laszlo Kovacs ein neues Ressort.

Von den Grünen kommt allerdings nach wie vor scharfe Kritik an Barrosos Kommission. In einer Pressemitteilung heißt es: Monica Frassoni, Co-President of the Greens/EFA Group, said: "We considered it important to fight for the European Parliament's voice to be heard - especially on the issues of respect for freedom and non-discrimination in Europe. This is one of the reasons why we asked for changes: you presented us a very bad team that would not have worked in the long run. But the changes you have introduced are minimal and, even though freeing the stage from the cumbersome presence of Mr Buttiglione, they do not solve other serious problems. Above all, they keep your Commission in a situation of serious weakness and vulnerability, which could have been easily avoided. Therefore, our Group has unanimously decided not to support your Commission. Regardless of the personal competence of the Commissioner-designate for Justice Franco Frattini, we continue to believe that to allocate such a post to the very minister who signed a ludicrous bill on conflict of interests and serves in the government led by a man - Silvio Berlusconi - to whom the public prosecutor in Milan has sought an eight-year sentence for corruption, is, to say the least, an incomprehensible mistake.

The 'Berlusconisation' of Europe is spreading, and with your Commission conflicts of interest are becoming a trans-European impropriety. The Netherlands is a country which is usually very quick to reproach others on the issue of morality, yet it is the country from which the most problematic and unacceptable case in your Commission originates." "While not underestimating the negative impact of Mariann Fischer Boel's conflict of interests on the CAP, there is no doubt that the case of Neelie Kroes represents the real time bomb as far as the credibility of your Commission is concerned. The competition portfolio is at the heart of the effectiveness and credibility of the Union and thus, the Commissioner in charge of that portfolio must be above all suspicions. Yet if Kroes was in the shoes of her predecessor Mario Monti, to avoid conflicts of interest she would have had to step aside from 35 separate investigations during the last term.this Commission's problem is not only one of composition but also of direction. We believe that their neo-liberal tendencies will put business and industry interests before ecological and social concerns. We will try to be constructively critical towards the Barroso Commission, but at the end of the day people will see that we were right to reject it."
Na, das sind ja schöne Aussichten.

2004-11-17

CARE-Mitarbeiterin anscheinend erschossen

--- In der Spirale der Gewalt im Irak, wo die Rebellen weiter eine regelrechte Hetzjagd gegen die irakische Polizei betreiben, schockt einen kaum noch eine Nachricht. Empörung nicht nur bei UN-Chef Kofi Annan hat nun aber die von al-Dschasira vermeldete neue Videobotschaft der Islamisten ausgelöst, auf der höchstwahrscheinlich die Erschießung der kürzlich entführten CARE-Chefin zu sehen ist: Senior aid official Margaret Hassan, held captive in Iraq for nearly a month, has been killed, a video received by Aljazeera appears to show. Aljazeera on Tuesday decided not to broadcast the video as it could not be sure that the woman was Hassan. An Aljazeera official said the channel would also not air it out of respect for the feelings of its audience. The video showed a masked man using a pistol to shoot a blindfolded woman that may have been Hassan. The hostage's family, in a statement in London, said she was most likely murdered. Brüssel überlegt nun, ob jegliche Nothilfe für Irak eingestellt werden soll. Iraker beklagen derweil, dass die zum Teil ausländischen Terroristen das Image des Lands ruinieren.

Update: Spiegel Online hat inzwischen den Ober-Terrorexperten Rolf Tophoven zum Fall Hassan und zur Strategie der Gotteskrieger befragt: Indem sie Frauen töten, was absolut unislamisch ist, wollen sie möglicherweise auch dokumentieren: "Wir sind zu allem bereit." Sie haben mit dieser Tat sicherlich den menschlichen und auch den strategischen Rubikon überschritten. ... Das soll vermitteln: Die Brutalität kennt keine Grenzen.

Weiter berichtet al-Dschasira, dass der auch mit einem Blog im Internet vertretene NBC-Freelance-Reporter Kevin Sites die Aufnahmen gefilmt haben soll, auf denen die Erschießung eines unbewaffneten Verwundeten in einer Moschee in Falldscha zu sehen ist: "He is a skilled reporter, a skilled video journalist who is willing to go and chronicle the news in the difficult places, under difficult conditions," said Bill Wheatley, NBC News vice-president. Sites handled the incident "completely professionally", Wheatley said, recognising the importance of the story and reporting its aftermath. While working for CNN a year ago, Sites and a crew were held captive for several hours by Iraqi fighters who accused them of being spies. His hands were bound behind his back and a machine gun round fired at his feet. Sites left CNN, he later said, partly because the company would not let him maintain a weblog on his war reporting. CNN declined to comment on Tuesday. There are no such problems at NBC News. Zu dem Vorgang in Falludscha äußert sich Sites bisher aber nicht in seinem Weblog.

2004-11-16

Condi Rice for President

--- Es hatte sich ja schon abgezeichnet: Powell macht nun also die Taube und entfliegt dem von Falken besetzten Bush-Kabinett, in dem er sich wohl nie so richtig wohl fühlte. An seine Stelle soll die gute Condoleezza Rice treten. Der Spindoktor darf Condi zu ihr sagen, denn sie ist eine gute Freundin: Bekannt wurde sie im Zusammenhang des Irak-Kriegs für den Bezug einer klaren Gegenposition zu Powell. Sie vertrat immer wieder die fehlgeleitete Ansicht -- etwa in einem Editorial für die New York Times --, dass Saddam Hussein endlose Lager an Massenvernichtungswaffen habe und man daher losschlagen müsse. Sie ist letztlich sehr stark mitverantwortlich für das aktuelle Desaster im Zweistromland. Der Stern hat sie beispielsweise in seiner Geschichte über die große Kriegslüge als Hauptfigur mit eingebaut, aber auch während der Untersuchungskommission zum 11. September glänzte sie nicht gerade. Vorwürfe macht ihr auch der ehemalige US-Sicherheitszar Richard Clarke in seinem viel beachteten jüngsten Buch. Sie ist berühmt dafür, viel und schnell zu reden, und damit letztlich nichts zu sagen. Eine Zusammenstellung ihrer Boobles und Spins findet sich unter anderem bei BuzzFlash. Condi hat daher auch ihre Fans, die sie beispielsweise dazu bringen wollen, 2008 als Präsidentschaftskandidatin anzutreten (wohl gar gegen Hillary Clinton dann ;-). Nach dem Latino Gonzales eine zweite Fehlbesetzung für Bushs Kabinett?

Update: Mehr zu Bushs neuem Vasallenteam bei Spiegel Online. Völlig unverständlich sind dagegen die Vorschusslorbeeren, mit denen Rice von der Bundesregierung bedacht wird. Lügen haben in der Politik eben keine kurze Beine, sondern stoßen allein auf ein kurzes Gedächtnis. Leider auch bei Telepolis-Kommentatoren.

2004-11-15

Sicherheitsfirma stellt Westen schlechtes Zeugnis im Anti-Terrorkampf aus

--- Die britische Control Risks Group, eine schon mal in der Zeit porträtierte Sicherheitsberatungsfirma mit Schwerpunkt Geiselnahmen und Entführungen, hat dem Westen ein verheerendes Zeugnis im Anti-Terrorkampf ausgestellt: "Das Versäumnis, der öffentlichen Meinung in der muslimischen Welt mehr Aufmerksamkeit zu schenken, untergräbt die Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus und macht die Welt unsicherer", heißt es im Bericht "Risk Map 2005", der der FTD vorliegt. Zwar möge der Westen den Krieg gegen den Terror gewinnen, schreiben die Autoren, vor dem nötigen Kampf der Ideen schrecke er jedoch zurück. Der Bericht steht in diametralem Gegensatz zu den Äußerungen der US-Regierung. Präsident George W. Bush hatte vor allem im Wahlkampf die Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus herausgestellt. ... Während Militär, Geheimdienste und Strafverfolger dem Terrornetz al-Kaida zu Leibe rückten, hätten sich die Ideologie des Dschihad und das entsprechende Know-how immer stärker verbreitet. ... Den Regierungen von Ländern wie den USA, aber auch Russland, Israel und Pakistan wirft die Unternehmensberatung vor, sich allzu einseitig auf militärische Maßnahmen zu verlassen - "anstatt die mühsame Arbeit auf sich zu nehmen, eine politische Lösung zu finden". Im Interesse der Unternehmen liege vielmehr ein aktives diplomatisches Engagement der westlichen Staaten bei Themen, die für die muslimische Welt von besonderer Bedeutung sind - insbesondere dem israelisch-palästinensischen Konflikt, aber auch einer Erleichterung der Einreisebestimmungen für Muslime in die USA. Allerdings betont der Report auch: Nach wie vor sei die Wirtschaft in vielen Teilen der Welt viel größeren Risiken durch politische Unruhen und räuberische Regimes ausgesetzt als durch nichtstaatliche Akteure wie Terroristen.

Wenigstens in Iran scheinen diplomatische Bemühungen aber eine zumindest kurze Zwischenlösung gefunden zu haben: Das Land hat die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in einem Brief über das Einfrieren seiner Urananreicherung als Teil einer Übereinkunft mit der Europäischen Union (EU) informiert. Die Anreicherung werde so lange eingefroren, wie die Gespräche mit der EU über eine endgültige Lösung für die iranische Nuklear-Angelegenheit dauerten, sagte der Generalsekretär des nationalen iranischen Sicherheitsrates, Hassan Rohani, am Sonntag in Teheran. Einem den Verhandlungen nahe stehenden EU-Diplomaten zufolge hat der Iran alle Punkte des am vergangenen Wochenende in Paris ausgearbeitete Abkommens mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien zugestimmt.

2004-11-13

Das Falludscha-Desaster und die neue US-Kriegsikone

--- Noch immer gibt es wenig neutrale Informationen über die seit einer knappen Woche laufende Großoffensive in Fallduscha. Was aber so nach außen dringt, hört sich nicht gut an. Die Wiederauflage der gar nicht richtig durchexerzierten Schlacht um Bagdad im Frühjahr 2003 ist ein Schaukampf, der den Irak sicher nicht befriedet, dafür aber den Haß auf die US-Truppen noch deutlich vergrößern könnte. Kürzlich war vom "Leichengeruch" in den Straßen der Stadt die Rede, jetzt werden auch wieder die Leiden der in der Rebellenhochburg verbliebenen Zivilisten thematisiert: Die verbliebenen Einwohner Falludschas machten mit einem dramatischen Hilferuf auf ihr Schicksal aufmerksam. Hunderte Tote lägen auf den Straßen, und den vor Schmerzen schreienden Verletzten könne nicht geholfen werden, sagte der Mediziner Ali Abbas aus Falludscha in einem vom US-Nachrichtensender CNN übertragenen Telefoninterview. Die Situation sei ein Desaster. Die in der Stadt verbliebenen Einwohner hätten weder Wasser noch Nahrung oder Strom. Ein Konvoi des irakischen Roten Halbmonds mit Hilfslieferungen werde an diesem Samstag versuchen, die Stadt zu erreichen, berichtete CNN. Kritisch gibt sich auch die New York Times und verweist dabei auch auf den andauernden islamistischen Propagandakampf: Twenty-two American servicemen have been killed and 170 wounded in Falluja since the invasion began on Monday evening, said Lt. Gen. John F. Sattler, the top Marine commander in Iraq. Of the Iraqi forces, 5 have been killed and 40 wounded, Gen. Abdul Qader Mohammed Jassim, an Iraqi commander, said. An audio recording posted Friday on the Internet and attributed to Abu Musab al-Zarqawi, the Jordanian terrorist who has become the Americans' enemy No. 1 in Iraq, praised the efforts of the jihadists in Iraq and said the blood spilled in Falluja "will light the way to God's victory." "I call for the heroes of Islam in Falluja to endure just for a short time," he said, "and victory will come soon. I want you to remember our Prophet Muhammad when he fought in the past." ... On Friday morning, Al Jazeera, the Arabic satellite television network, showed a videotape of a Lebanese-American hostage who had been kidnapped earlier. Reuters also reported that a Syrian driver who had been kidnapped in August with two French journalists, Georges Malbrunot and Christian Chesnot, had turned up in Falluja. No further details were available. One prominent member of the Senate Armed Services Committee said the increasing mayhem raised questions about whether the United States could win the fight against a wider insurgency, whatever the outcome in Falluja. "The insurgency is not abating," the member, Senator Jack Reed, a Rhode Island Democrat who is a former officer in the 82nd Airborne Division, said in a telephone interview with reporters after he visited American forces in Iraq on Friday. "In some respects, it's becoming more pronounced in many parts of the country - not all parts of the country, but many parts of the country. It's hard to determine whether that's the last gasp or continued building momentum."

(Foto: Luis Sinco / LAT) Doch auch für amerikanische Helden ist der Irak-Krieg noch gut. Die LA Times freut sich riesig darüber, dass einer ihrer Kriegsfotografen eine neue und rasch Mythen-umwobene Kriegsikone geschaffen hat: den lässig-harten, zwanzigjährigen "Marlboro-Mann" James Blake Miller. In the full-frame photo, taken after more than 12 hours of nearly nonstop deadly combat, Miller's camouflage war paint is smudged. He sports a bloody nick on his nose. His helmet and chin strap frame a weary expression that seems to convey the timeless fatigue of battle. And there is the cigarette, of course, drooping from the right side of his mouth in a manner that Bogart or John Wayne would have approved of. Wispy smoke drifts off to his left. The image, printed in more than 100 newspapers, has quickly moved into the realm of the iconic. ... The Los Angeles Times and other publications have received scores of e-mails wanting to know about this mysterious figure. Many women, in particular, have inquired about how to contact him. "The photo captures his weariness yet his eyes hold the spirit of the hunter and the hunted," wrote one admirer in an e-mail. "His gaze is warm but deadly. I want to send a letter." The photo seems to have struck a chord, as an image of America striking back at a perceived enemy, or just one young man putting his life on the line halfway across the globe. Whatever the case, top Marine brass are thrilled. Lt. Gen. John F. Sattler, commander of the 1st Marine Expeditionary Force, dropped in Friday on Charlie Company to laud the featured unit. "That's a great picture," echoed Col. Craig Tucker, who heads the regimental combat team that includes Miller's battalion. "We're having one blown up and sent over to the unit."

Update: Mehr zum "amerikanischen Grosny" in Telepolis und zur verfrühten Siegeserklärung der irakischen Regierung in Spiegel Online.

Pentagon baut "War Net"

--- Das Pentagon baut ein teures Hochleistungs-Internet nur für militärische Zwecke, berichtet die New York Times. Das Verteidigungsministerium will damit seine Ansätze für die vielbeschworene Network-centric Warfare, die netzgestützte Kriegsführung, auf leistungsfähigere Beine stellen: The goal is to give all American commanders and troops a moving picture of all foreign enemies and threats - "a God's-eye view" of battle. This "Internet in the sky," Peter Teets, under secretary of the Air Force, told Congress, would allow "marines in a Humvee, in a faraway land, in the middle of a rainstorm, to open up their laptops, request imagery" from a spy satellite, and "get it downloaded within seconds." The Pentagon calls the secure network the Global Information Grid, or GIG. Conceived six years ago, its first connections were laid six weeks ago. It may take two decades and hundreds of billions of dollars to build the new war net and its components. Skeptics say the costs are staggering and the technological hurdles huge. Vint Cerf, one of the fathers of the Internet and a Pentagon consultant on the war net, said he wondered if the military's dream was realistic. "I want to make sure what we realize is vision and not hallucination," Mr. Cerf said. "This is sort of like Star Wars, where the policy was, 'Let's go out and build this system,' and technology lagged far behind,'' he said. "There's nothing wrong with having ambitious goals. You just need to temper them with physics and reality." ... Robert J. Stevens, chief executive of the Lockheed Martin Corporation, the nation's biggest military contractor, said he envisioned a "highly secure Internet in which military and intelligence activities are fused," shaping 21st-century warfare in the way that nuclear weapons shaped the cold war. ... Pentagon traditionalists, however, ask if net-centric warfare is nothing more than an expensive fad. They point to the street fighting in Falluja and Baghdad, saying firepower and armor still mean more than fiber optic cables and wireless connections. But the biggest challenge in building a war net may be the military bureaucracy. For decades, the Army, Navy, Air Force and Marines have built their own weapons and traditions. A network, advocates say, would cut through those old ways. The ideals of this new warfare are driving many of the Pentagon's spending plans for the next 10 to 15 years. Some costs are secret, but billions have already been spent. Providing the connections to run the war net will cost at least $24 billion over the next five years - more than the cost, in today's dollars, of the Manhattan Project to build the atomic bomb. Beyond that, encrypting data will be a $5 billion project. Einen schönen Technikspielplatz mit zahlreichen Absahnmöglichkeiten für die beteiligten Firmen will Rumsfeld da also bieten, der Nutzen des War Net ist dagegen umstritten, zumal sich zivile Einsatzmöglichkeiten nicht sofort abzeichnen. Aber schließlich legte das Pentagon mit dem DARPAnet (bzw. ARPAnet) ja auch den Grundstein für das heutige Internet, Fortentwicklungen befinden sich also zumindest medienhistorisch in guter Gesellschaft.

Meuterei bei der CIA

--- Die Arbeit der CIA wird mitten im "Krieg gegen den Terror" und der überaus angespannten Situation im Irak jetzt auch noch durch personelle Schwierigkeiten stark behindert, berichtet die Washington Post. Auslöser ist der neue von Bush auserkorene und von vornherein nicht unumstrittene Frontmann Porter J. Goss bzw. die von ihm mitgebrachte Führungscrew, gegen die sich anscheinend eine echte Meuterei beim Bestandspersonal richtet: The deputy director of the CIA resigned yesterday after a series of confrontations over the past week between senior operations officials and CIA Director Porter J. Goss's new chief of staff that have left the agency in turmoil, according to several current and former CIA officials. John E. McLaughlin, a 32-year CIA veteran who was acting director for two months this summer until Goss took over, resigned after warning Goss that his top aide, former Capitol Hill staff member Patrick Murray, was treating senior officials disrespectfully and risked widespread resignations, the officials said. ... Several other senior clandestine service officers are threatening to leave, current and former agency officials said. ... "It's the worst roiling I've ever heard of," said one former senior official with knowledge of the events. "There's confusion throughout the ranks and an extraordinary loss of morale and incentive." Current and retired senior managers have criticized Goss, former chairman of the House intelligence committee, for not interacting with senior managers and for giving Murray too much authority over day-to-day operations. Murray was Goss's chief of staff on the intelligence committee. Transitions between CIA directors are often unsettling for career officers. Goss's arrival has been especially tense because he brought with him four former members of the intelligence committee known widely on the Hill and within the agency for their abrasive management style and for their criticism of the agency's clandestine services in a committee report. Das alles dürfte Bush sehr, sehr ungelegen kommen.

Update: Eine Woche später ist das Thema auch bei Spiegel Online angekommen.

Innenminister Schily eckt weiter an

--- Der Spindoktor hat seine Bedenken gegen Schily bereits (mehrfach) geäußert, jetzt gibt es schon wieder neuen Unmut: Bundesinnenminister Otto Schily steht Ärger ins Haus: Bei den so genannten Kamingesprächen im Anschluss an die Innenministerkonferenz, die diese Woche in Lübeck stattfindet, wollen die Länderminister gegen seinen Politikstil aufbegehren. Über die Parteigrenzen hinweg kritisieren die Ressortchefs, dass Schily überwiegend im Alleingang entscheide und sie nicht in seine Überlegungen einbeziehe - zuletzt mit der Ankündigung, blaue Uniformen für den Bundesgrenzschutz einzuführen. Die Landespolitiker verübeln Schily auch, dass er die Entscheidung über ein Weisungsrecht des Bundes in Fragen der Inneren Sicherheit sowie über Präventivbefugnisse für das Bundeskriminalamt in die Föderalismuskommission ausgelagert hat. "Die Minister sind es leid", so ein hoher Beamter, "die Entscheidungen Schilys immer erst aus der Zeitung zu erfahren." Jetzt, wo Ashcroft schon auf und davon ist und Schily direkter US-Kollege Tom Ridge auch übers Aufhören nachdenkt, ist eine gute Zeit für den roten Sheriff hierzulande, mal wieder in sich zu gehen. Oder ist das alles nur eine Kampagne der Länderfürsten und der Medien?

2004-11-11

Arafats Tod -- Neuanfang in Nahost?

--- Nachdem man sich bei Paris doch noch durchgerungen hat, die Maschinen abzustellen, wimmelt es nun an Nachrufen auf und kritischen Abrechnungen mit Arafat. Einen auch auf den Propagandakampf eingehenden Leitartikel zur Zukunft in Nahost bringt die FTD: Auf den Countdown folgt nun die Stunde null: Im Nahen Osten steht eine Zäsur an, und die Welt holt Luft - unschlüssig, ob sie den Atem anhalten oder tief durchatmen soll. Wenn die Palästinenser sich klug verhalten, kann sie durchatmen. Sicher: Mit dem Tod Arafats ist eine Legende des palästinensischen Kampfes zu Ende gegangen. Diese Legende, das über jeder Kritik stehende Denkmal Arafat, hat aber auch vieles verklärt und verdeckt. Seit Jahren schon war der Palästinenserführer ohne zukunftsweisende Agenda. Die Palästinenser haben jetzt, nach vier verlorenen Jahren Intifada, eine historische Chance. Entweder sie entscheiden sich für einen Arafat II., einen Nachfolger, dem es um Lautstärke, inszenierte Wut, Parolen und TV-Bilder geht. Einen, der die palästinensische Sache als PR-Kampagne begreift, die blutig um Aufmerksamkeit und Sympathien kämpft. Der junge Intifada-Führer Marwan Barguti, der in Israel im Gefängnis sitzt, steht für diesen Typ von Führer. Oder sie entscheiden sich für Realisten, die verhandeln wollen, von Israel und den USA als Partner akzeptiert werden und die so den Grundstein für die Gründung des ersehnten Palästinenserstaates legen könnten. Es ist eine Entscheidung, die die Zukunft der Palästinenser für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte prägen wird. Ein nicht unter heftigen Korruptionsverdacht stehender Arafat-Ersatz ist momentan allerdings nirgends in Sicht.

Die heimliche Medienrevolution bei Telepolis

--- Nach Krieg und Internet gibt es in der Telepolis-Buchreihe jetzt mal wieder was Spannendes aus der Welt der neuen Medien: Die heimliche Medienrevolution. Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern von Erik Möller (Buch erscheint Ende November). Der Titel hört sich zumindest gut an. Leider verrät die Infoseite bei TP aber recht wenig über den Inhalt: Medien bedeuten Macht. Kann das Internet Bertelsmann, Springer und Murdoch gefährlich werden? Großunternehmen versuchen auch die neuen Medien zu kapitalisieren, doch in der chaotischen, dezentralen Welt des Internet gelten andere Spielregeln. Hochmotivierte Hacker basteln in ihrer Freizeit unauffällig an Enzyklopädien, Communities und gemeinschaftlich betriebenen News-Websites, deren Einfluss mit jedem Tag wächst. Die Medienrevolution spielt sich leise ab -- doch ihre Folgen sind bereits jetzt unübersehbar. Wir dürfen gespannt sein, ob die anscheinend angestrebte Mischung aus "How to Build a Weblog or Wiki" und einer Analyse des Phänomens "Soziale Software" gelungen ist. Außerdem fehlt natürlich völlig ein eigenes Weblog zum Buch (Update: kommt aber noch, wie Erik im Kommentar unten verspricht)!

Nur zum Teil zufrieden stellen kann dagegen definitiv die heimliche Medienrevolution bei Telepolis selbst in Form des Relaunch: Das gute alte Magazin der Netzkultur ist damit auf der Startseite erst mal noch ein wenig Blog-ähnlicher geworden und zudem dem Heise-Newsticker angepasst worden. Hübsch die farbliche Anmutung und die Bildchen schon in der Übersicht. Aber dass jetzt nur noch 8 Artikel aktuell auf der Homepage sind -- das macht überhaupt keinen Spass. Wer mag sich schon endlos durch die folgenden Übersichtsseiten klicken? In der Umfrage zum neuen Design zeigen sich jedenfalls wenige Leser begeistert. Natürlich klebt der Mensch als Gewohnheitstier erst einmal am Alten, sodass man das spontane Votum sicher nicht überbewerten sollte. Aber Nachbesserungen auf der Startseite sind auf jeden Fall notwendig.

Update: Ah, zumindest ist jetzt die auf der Homepage gleich abrufbare Zahl der Artikel deutlich länger geworden. Schon besser. Noch gewöhnungsbedürftig aber halt, dass die Schriftgröße insgesamt recht klein bei den Artikeln und der Haupttext etwas zwischen die beiden üppigen Randleisten rechts und links eingequetscht erscheint.

Update 2: Erik hat die Infoseiten für das Buch jetzt (Anfang Dezember) etwas aufgepeppt und in Blog-Struktur gebracht. Und für Fußnotenfetischisten: Die sind auch schon mal alle online.

Folteradvokat Gonzales soll US-Justizminister werden

--- Kommen die US-Bürger mit ihrem Justizminister vom Regen in die Traufe? Kaum ist Ashcroft weg, hat Bush erwartungsgemäß den Quoten-Latino Alberto Gonzales aus dem Hut gezaubert. Schön natürlich, dass das Kabinett damit ein wenig bunter und die Hispanier für ihre Treue zu Bush belohnt werden sollen. Aber muss es denn gleich der Mann sein, der als Berater des Weißen Hauses die freizügige Folterdoktrin der US-Armee in Abu Ghraib und Guantanamo mitbestimmt hat? Das Center for American Progress listet aber noch eine ganze Reihe weiterer bedenklicher "Erfolge" Gonzales' auf: A memo written by White House Counsel Alberto Gonzales said "the war against terrorism is a new kind of war" and "this new paradigm renders obsolete Geneva's strict limitations on questioning of enemy prisoners and renders quaint some of its provisions." ... Historically, senators have been allowed to review some memoranda by judicial nominees. But, in a letter [about nominee Miguel Estrada], Gonzales told the Democrats that the administration would not produce the memos, because to do so would chill free expression among administration lawyers and violate the principle of executive privilege, which protects the internal deliberations of the president's aides. ... As chief legal counsel for then-Gov. Bush in Texas, Gonzales was responsible for writing a memo on the facts of each death penalty case – Bush decided whether a defendant should live or die based on the memos. An examination of the Gonzales memoranda by the Atlantic Monthly concluded, "Gonzales repeatedly failed to apprise the governor of crucial issues in the cases at hand: ineffective counsel, conflict of interest, mitigating evidence, even actual evidence of innocence." His memos caused Bush frequently to approve executions based on "only the most cursory briefings on the issues in dispute." Und das geht noch ne ganze Weile weiter. Ein schlechtes Signal für die zweite Amtszeit, Mr. Bush!

Update: Mehr zum Thema im neu designten Telepolis -- der Relaunch muss aber ansonsten anderweitig noch thematisiert werden.