2004-11-20

Abu Ghraib in Coesfeld?

--- Laut dem Spiegel hat nun nach der US-Armee auch die Bundeswehr endlich ihren "Folterskandal": Die Staatsanwaltschaft Münster ermittelt gegen einen Hauptmann und 17 Unteroffiziere einer in Coesfeld stationierten Ausbildungskompanie der Bundeswehr. ... Nach Informationen des SPIEGEL sollen die Unteroffiziere, fast alle im Rang eines Feldwebels, zwischen Juni und September dieses Jahres viermal mit Rekruten zum Abschluss der Grundausbildung ein grausames Spiel gespielt haben - eine so genannte Geiselbefragung. Auf Nachtmärschen seien die jungen Soldaten in einen Hinterhalt gelockt, überfallen, mit Kabelbinder gefesselt und auf einem Lastwagen - über die Köpfe graue Stiefelbeutel gestülpt - in die Kaserne gekarrt worden. Dort, in einem Dusch- und einem Kellerraum, hätten sie kniend vor einer Wand verharren müssen und seien mit Wasser bespritzt worden. Zwei Soldaten sollen mit Stromstößen, die die Induktionsspannung eines Feldfernsprechers lieferte, "im Hals-, Leisten- und Bauchbereich" gequält worden sein. Die Ermittler haben auch Hinweise darauf, dass die Exzesse gefilmt und fotografiert wurden. Scheint ja tatsächlich was schief gelaufen zu sein -- aber muss man das dann gleich mit Abu Ghraib vergleichen? Die Relationen sind da doch stark verschoben und es ist schon ein Unterschied, ob Gefangene in großem Maßstab misshandelt oder ein Ausbildungsdrill mal in die völlig falsche Richtung ausschlägt. Aber die "Folter-Exzesse" werden die Medien wohl die kommenden Tage gut beschäftigen.

Update: Die Berliner Zeitung hat die Peiniger in Uniform inzwischen zum Tagesthema erhoben. Darin wird auch auf Spinnereien Strucks verwiesen: Überraschend wortkarg gibt sich bislang Verteidigungsminister Peter Struck (SPD). Als im Mai dieses Jahres Vorwürfe aufkamen, Angehörige der Bundeswehr hätten Gefangene im Kosovo so misshandelt wie Amerikaner Iraker im berüchtigten Militärgefängnis Abu Ghoreib, hatte er die Vorwürfe brüsk zurückgewiesen und zugleich einen politischen Ausfallschritt gewagt: "Die Wehrpflicht", dozierte Struck, "wäre ein zusätzlicher Schutzwall gegen solche Vorkommnisse." Er glaube, dass Wehrpflichtige "ein gesundes demokratisches Bewusstsein in die Armee bringen und dass sie erkennen würden, so behandelt man keine Menschen." Wenig später begannen in Coesfeld die "Geiselbefragungen".

1 Comments:

At 9:35 PM, Blogger peler said...

Der polemische Tonfall dieses Beitrags ist der Sachlage nicht angemessen. Besonders in den ersten Wochen werden die aus dem normalen Bürgeralltag kommenden Rekruten systematisch verunsichert, um eine disziplinierte Ausbildungseinheit zu schaffen: Die Grundrechte werden beschnitten, um eine soldatische Ausbildung zu ermöglichen, doch in der täglichen Praxis wird häufig ein Schritt zu weit gegangen, weil den niedrigen Diensträngen zuviel Freiheit gelassen wird. Nicht selten bekommt ein Obergefreiter mit 5 monatiger Bundeswehrerfahrung die Befehlsgewalt übertragen und
überschreitet die Grenzen des Erlaubten- angefeuert von der speziellen Atmosphaere, die durch
eine große Ansammlung junger Maenner entsteht.
Es ist daher unerlaesslich, dass den zur Zeit noch einberufenen Wehrpflichtigen in den ersten Tagen ein Zivilist zur Seite gestellt wird, der nicht am Sandortstammtisch teilnimmt und eine Kontrolle der Ausbildungsmaßnahmen gewährleistet. Es steht ausser Frage, dass die Berichterstattung in den Medien vielleicht die Dimensionen verzerrt, dennoch ist es richtig und wichtig, dass die Bundeswehr in der öffentlichen Diskussion bleibt. Nun, dass muss und sollte nicht nur im Kontext von Skandalen sein, dies ist aber auch auf die schlechte Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr zurückzuführen. Kaum erreichen Imagekampagnen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Die Bundeswehr wird als kargausgestattete, schwerfaellige Truppe wahrgenommen, die -von einigen Eliteeinheiten abgesehen- ihre beste Zeit hinter sich hat. Das liegt nicht zuletzt an dem schwerfälligenen
Verwaltungsapparat und der Veränderungsfeindlichkeit der Führungskader. Die Wehrpflicht in der jetzigen Form ist ein Relikt aus den Zeiten der Kalten Kriegs und gehört nicht zuletzt wegen des Gerechtigskeitsgrundsatzes abgeschafft.
Natürlich wurde und wird auch unter Bundeswehrangehoerigen die Sachlage diskutiert. Es gibt
starke Argumente fuer die allgemeine Wehrpflicht, insbesondere die kontinuierliche Einbindung der
Bundeswehr in die Gesellschaft, dennoch ist eine Freiwilligenarmee den Umständen unserer Zeit
deutlich angemessener.
Nicht unbedingt aus Kostengründen, sondern aus Gründen der Qualität von Ausstattung und Personal
ist eine schlankere Truppe vorzuziehen. Diese ermöglicht eine höhere Entlohnung und steigert die
Attraktivität der Bundeswehr. Dadurch erledigen sich die ständigen Nachwuchssorgen einiger
Offiziere und die Einsatzfähigkeit bleibt sichergestellt. Das militärische Verteidigungskonzept
muss den heutigen Umstaenden angepasst werden, die in Zentraleuropa keine
schweren Panzereinheiten fordern.
Eine Reform,die dieses Ausmaß an Veraenderungen erreichen kann, ist schmerzhaft und schwierig
durchzusetzen. Dennoch sollte sie angegangen werden, denn die Notwendigkeit einer Armee wird
derzeit von wenigen bestritten. Die Bundeswehr könnte ein professionelles "Unternehmen" werden
mit dem Ziel innerhalb, z.B. wie bisher im Katastrophenschutz, und außerhalb Deutschlands, im
Rahmen der UN, der Bevölkerung zu helfen.

 

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