2004-11-04

Die USA nach der Wahl: Bush als der nützliche Idiot?

--- Heute wird allüberall das letztlich doch überraschende Wahlergebnis verarbeitet, während Bush erst einmal triumphiert und gleichzeitig auf versöhnlich macht: Bush ließ sich nach seinem Wahlsieg von jubelnden Anhängern in Washington feiern: "Amerika hat gesprochen, und das Vertrauen, daß meine Mitbürger mir entgegenbringen, hat mich tief geehrt." Im Kampf gegen den Terror wolle er alle Ressourcen des Landes nutzen. "Ich brauche eure Unterstützung und ich arbeite dafür", sagte Bush an die 55 Millionen Amerikaner gewandt, die Kerry wählten. Seine ganze rührige Rede, in der er u.a. auch Ober-Spindoktor Karl Rove als "Architekten" der Wahlkampfkampagne dankt, gibts beim Weißen Haus, man sollte sie in Erinnerung behalten. Hier die ausführliche Handreichung an die Demokraten: Today I want to speak to every person who voted for my opponent: To make this nation stronger and better I will need your support, and I will work to earn it. I will do all I can do to deserve your trust. A new term is a new opportunity to reach out to the whole nation. We have one country, one Constitution and one future that binds us. And when we come together and work together, there is no limit to the greatness of America. Das geht natürlich runter wie Butter, aber angesichts Bushs neokonservativer -- jedoch auch im republikanischen Lager nicht ganz unumstrittener -- Agenda darf dieses Angebot zur Zusammenarbeit getrost als Ding der Unmöglichkeit bezeichnet werden. Die Befürchtungen gehen schließlich dahin, dass Bush sein Ziel vom "Gottestaat im Westen" durchzieht und der Boden dafür bereitet ist: Dass trotz der Betonung auf Moralität und Religion die herbeigesehnte Autoritätsperson mit Lügen das Land in einen Krieg mit ungewissem Ausgang ziehen kann, der die Sicherheit der ganzen Welt gefährdet, wird beispielsweise dadurch bewerkstelligt, dass den als falsch erwiesenen Behauptungen weiter geglaubt wird und man ansonsten das Thema nicht für so wichtig erachtet wie das Verbot von Homo-Ehen, Schulgebete, das Verbot von Abtreibung, das Verbot der Stammzellenforschung, die Keuschheit vor der Ehe, die Kritik am Feminismus - und schlicht die Aufrechterhaltung traditioneller Autorität. Aber der alt-neue Präsident könnte jetzt natürlich erst mal Zeichen setzen, indem er beispielsweise Ashcroft, Ridge und Rumsfeld in Frieden ziehen lässt. Wünschenswert wäre eigentlich aber natürlich, dass er sich von Cheney trennt.

Ansonsten analysiert das linke Lager allenthalben, warum alles trotz Irak-Krieg und Abu Ghraib so kommen und wie "das" passieren konnte. Spiegel Online listet dazu das Sündenregister der Bush-Administration noch einmal auf: Er hat dieser Welt mit fadenscheinigen Argumenten einen Krieg aufgezwungen, den die Menschen nicht gewollt hatten. Er hat den Westen gespalten, obwohl der Kampf gegen die islamistischen Terroristen nur gemeinsam zu gewinnen ist. Er hat das Recht außer Kraft gesetzt, da wo es ihm gerade passte. Mit der falschen Begründung des Krieges hat er Millionen betrogen, die trotz aller Machtpolitik an die freiheitlichen Werte und die moralische Überlegenheit der USA geglaubt hatten. Er hat den Superreichen seines Landes großzügige Steuergeschenke spendiert und damit geholfen, einen Milliarden-Haushaltsüberschuss in ein Defizit von ungeahntem Ausmaß zu verwandeln, an dessen Folgen das gesamte Land noch Jahre leiden wird. Er hat sich mit den konservativen Priestern seines Landes verbündet, für die Abtreibung ein Kapitalverbrechen und Homosexualität eine schwere Sünde ist. Er hat die Amerikaner polarisiert, wie selten zuvor. Warum also, in Gottes Namen, wird ein solcher Präsident wiedergewählt?. Und findet die hinlänglich bekannten Antworten mit ein paar weiteren Zusätzen: Warum also die Überraschung? Weil die meisten unterschätzten, wie eigen die Amerikaner eigentlich sind. Die jahrzehntelange gemeinsame Front im kalten Krieg, der Rock, Paul Auster oder Hollywood haben die Unterschiede zu den Europäern kaschiert - selbst für die Leitartikler der großen Ostküstenmedien. Amerika ist ein fremdes Land, mit eigenen Werten und daran ändert auch nicht, dass man sich mit den Menschen in New York, San Francisco oder Washington prima an der Bar ins Benehmen setzen kann. Sie haben unterschätzt, wie sehr sich die Amerikaner nach einem Leader sehnen, der in Zeiten der Angst mit klarer Sprache einen klaren Weg vorgibt und diesen auch geht, selbst wenn er sich später als falsch herausstellen sollte. Sie haben unterschätzt, wie schnell das Land einfachen Botschaften verfällt. "Simple but effective" ("Einfach aber effektiv"), titelte gestern das Online-Magazin Slate, und erklärte damit seinen Lesern "why you keep losing to this idiot" ("Warum ihr dauernd gegen diesen Idioten verliert"). Und sie haben - mal wieder - den mittleren Westen unterschätzt. Kaum ein Europäer und nur wenige in den US-Metropolen können die Langeweile und die Ödnis der Landstriche zwischen Florida und Dakota ermessen. In dieser Gegend ist der Horizont immer gerade, der Himmel ein hohes Gewölbe und Gott niemals fern. Hier sind die zu Hause, auf deren Mission Bush seine Kampagne entscheidend aufgebaut hat.

An diesem Punkt setzen linke Popkulturgrößen wie Moby an, der angesichts des Wahlergebnis die Sezession fordert (in seinen aktuellen Einträgen im "Journal" auf seiner Site): can someone remind me why secession is not an option at this point? i mean let's be realistic, we live in a divided country. can't we have the breakaway republics of 'north-east-istan' and 'pacific-stan'? wouldn't the red states be happier without us?". Weitere Reaktionen linker Akademiker, Politiker und Künstler hat Salon zusammengetragen, während Michael Moores Homepage Trauer trägt mit einem Bush-Collage aus Irak-Opfern und Adressen für den Widerstand sammelt. Denn spätestens in vier Jahren wird ja wieder gewählt -- dann ja vielleicht mit Hillary Clinton als Herausforderin? Aber ob die im mittleren Westen wohl besser ankommt als Kerry?

Update: Wir nehmen die Entschuldigung an.

1 Comments:

At 12:40 PM, Anonymous Anonym said...

It is said that people get the government they deserve.
It is too bad we now have to inflict this on the rest of the world. I am still in a state of shock about what my fellow Americans have just done. But I am also comforted by the fact that 52 million here feel the same way I do.
David

 

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