2004-11-21

Enthauptungsvideos als ultimative moralische Versuchung

--- Die Welt am Sonntag bringt heute einen zunächst im New York Times Magazine erschienenen Artikel von Michael Ignatieff über die blutigen "Porno-Gewaltvideos" aus dem Irak.: Nachdem er zunächst wenig erhellendes zur Videokamera als angeblich "neuer" Waffe schreibt, kommt Ignatieff dann doch noch zur Sache: Die Videos verkünden, daß es in einem besetzten Land keine unschuldigen Ausländer gebe. Eines der jüngsten Opfer Margaret Hassan, Direktorin für Care International im Irak hatte einen bemerkenswert starken Unschuldsanspruch. Ihr Mann war Iraki, und sie lebte seit 30 Jahren im Land, half beim Bau von Kliniken, insbesondere einer Abteilung für Rückenmarksverletzungen. Ihre Patienten setzten sich in ihre Rollstühle und begaben sich auf die Straßen, um mit Transparenten in arabischer Sprache Hassans Freilassung zu fordern. ... Ihr Video war eine gezielte Bombe auf unsere Hoffnung, daß es für Ausländer möglich sei, Gutes im Irak zu bewirken. Das Video, in dem sie um ihr Leben bettelt, warnt die Iraker: Niemand, der in Verbindung mit einem Ungläubigen steht, ist unschuldig. Die Rituale der Demütigung, die sich in diesen Videos abspielen, beabsichtigen einen Teil der arabischen Bevölkerung zu befriedigen. Diese Propaganda stellt ein Jahrtausend der komplexen Wechselwirkung zwischen der muslimischen und der nicht-muslimischen Welt als lange Litanei der Scham dar, die durch die Kreuzzüge, die französischen und britischen Imperialisten und schließlich durch die Israelis und deren amerikanische Zahlmeister der arabischen Welt aufgezwungen wurde. Mit den Videos zahlt man zurück. ... Ein Terrorist, der sein Handwerk beherrscht und zweifelsfrei ist Al Zarkawi ein solcher , versteht uns besser, als wir ihn zu verstehen scheinen. Er weiß, daß die einzige Chance, einen amerikanischen Rückzug zu erzwingen, darin besteht, den politischen Willen der amerikanischen Wähler zu beeinflussen ... seine Kalkulation basiert darauf, daß er nicht verlieren kann. Wenn wir bleiben, so seine Wette und Abu Ghraib bestätigt, wie scharfsinnig er ist , werden wir ihm dadurch helfen, daß wir einen schmachvollen Sieg davontragen, indem wir genauso grausam werden wie er selbst. Er hält die Videos für eine ultimative Form moralischer Versuchung, eine Falle, in die wir, wie er hofft, tappen werden. Aber er hat vergessen, daß die Wahl immer noch bei uns liegt, nicht bei ihm.