2004-12-09

Das Gift der Geheimdienste und Juschtschenko

--- Schon im Vorfeld der Wahl in der Ukraine wurde viel spekuliert über eine mögliche Vergiftung des Oppositionsführers Viktor Juschtschenko. Die Hinweise haben sich jetzt verhärtet durch Aussagen des behandelnden Ärzteteams in Wien: Es herrschte wochenlang Sendepause. Dann plauderte Nikolai Korpan, einer der Belegärzte im Rudolfinerhaus, gegenüber der britischen Zeitung "The Times". In einem Interview sagte er, die Mediziner seien sich nun sicher, welche Substanz die Krankheit Juschtschenkos ausgelöst habe. "Er hat diese Substanz von anderen Personen bekommen, die damit eine bestimmte Absicht verfolgt haben." Die Frage, ob er damit sagen wolle, Juschtschenko hätte getötet werden sollen, bejahte Korpan der Zeitung gegenüber: "Ja, natürlich." Vielleicht sei das Gift durch eine Injektion verabreicht worden, vielleicht im Getränk oder im Essen. ... Unter Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht wollte Korpan zu Einzelheiten nicht mehr Stellung nehmen. Dann aber bestätigte er den Bericht der "Times" indirekt doch. Die Ärzte hätten derzeit drei Vermutungen über die Ursache der Erkrankung, gab Korpan bekannt. Alle drei liefen auf eine Vergiftung hinaus. "Mehrere Varianten" würden mit Kollegen aus Frankreich, Deutschland und den USA endgültig untersucht, so der gebürtige Ukrainer. Dass Juschtschenko Opfer eines Attentats wurde, kristallisiert sich damit immer deutlicher heraus. In Kiew zeigen sich viele Bürger überzeugt, Juschtschenkos Essen sei vergiftet worden. Am Abend des 5. September hatte sich der Politiker zu einem Abendessen mit dem Chef der ukrainischen Staatssicherheit, Igor Smeschko, getroffen. Dieser wollte mit dem Oppositionspolitiker dringend zusammenkommen, um ihm "eminent wichtige Informationen" mitzuteilen. Wenige Stunden später wurde Juschtschenko krank. Er litt unter Unterleibs- und Rückenschmerzen, Gesichtsmuskeln waren gelähmt, er erbrach sich häufig.

Interessante Einblicke in die Praktiken der Dienste, die anscheinend am Werk waren, bringt derweil die Welt: Schon der sowjetische KGB hatte in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt zu Gift gegriffen. Nach dem Zerfall der UdSSR gab es in Rußland eine Reihe von geheimnisvollen Todesfällen, ob mit kriminellem oder geheimdienstlichem Hintergrund, blieb weitgehend im dunkeln. So starb 1990 der stellvertretende Chefredakteur der meist sehr gut informierten Zeitschrift "Sowerschenno Sekretno" ("Streng geheim") auf einer Dienstreise in Paris an einer Vergiftung. 1995 wurde der damals reichste Mann Rußlands, Iwan Kiwellidi, in Moskau mit Gift beseitigt. Im vergangenen Jahr starb Juri Schtschekotschichin, ein mutiger, investigativer Journalist, qualvoll mit deutlichen Vergiftungserscheinungen. ... Ein anonymer Ex-Geheimdienstmann bestätigte dieser Tage gegenüber der Zeitung "Komsomolskaja Prawda", daß der verhaßte libanesische, in Tschetschenien kämpfende Feldkommandeur Hattab Opfer eines Giftanschlags des Geheimdienstes FSB geworden ist. Ein Agent habe Hattab einen mit einem Gift aus der Gruppe der Nefrotoxine präparierten Brief übergeben. Es stamme aus dem Labor "X", das seit 1991 nicht mehr innerhalb der Geheimdienststrukturen, aber unter dem Dach eines Unternehmens existiere. "Kein ernsthafter Geheimdienst auf der Welt arbeitet ohne Gift", behauptete der Ex-KGB-Mann laut "Komsomolskaja Gaseta". Im heutigen Rußland gebe es allerdings keine Personen, die man aus politischer Räson vergiften müsse.

Update: Es war Dioxin, haben sich die Wiener Ärzte inzwischen entlocken lassen.