2004-12-04

Dschihad in Deutschland?

--- Die deutschen Medien räumen heute dem angeblich verhinderten Terroranschlag auf den irakischen Übergangspremier Allawi viel Platz ein. Die Welt überschreibt ihren Kommentar zu dem Geschehen gleich mit der plakativen Ansage Dschihad in Deutschland und stellt das Fragezeichen erst im eigentlichen Text dahinter: Droht der Dschihad, der seine Hauptschlachten derzeit im Irak führt, nach Berlin zu kommen? Die offenbar konkreten Anschlagsvorbereitungen zeigen, daß Deutschland im Terrorkampf längst aus den Zuschauerreihen in die Mitte des Spiels geraten ist. Dazu paßt, daß das Bundesverwaltungsgericht nach Jahren das Verbot eines extremistischen Spendensammel-Vereins bestätigte, dessen Gelder ganz offenbar an Terroristen im Nahen Osten flossen. Beide Vorgänge belegen: Deutschland ist Ruhe- und Finanzierungsraum, aber längst auch Aktionsraum des internationalen islamistischen Terrors. Im dazugehörigen Bericht wird erläutert, was zu den Razzien und Festnahmen geführt hat: "Hektische Telefonate in arabischer Sprache und ein auffälliges Bewegungsbild" am Donnerstag abend hätten den Generalbundesanwalt zum Handeln veranlaßt. "Die Gespräche haben uns stutzig gemacht", sagte Nehm, da sie zum Besuchsprogramm von Allawi paßten. Die ständige Telefonüberwachung eines der Beschuldigten in Stuttgart durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hätte den Verdacht bestärkt, daß ein Anschlag auf Allawi während seines Deutschlandbesuchs geplant war, so Nehm. Die Iraker wurden bereits seit Dezember 2003 vom Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern in Bayern und Baden-Württemberg überwacht. Sie sollen der radikal-islamischen kurdischen Terrororganisation Ansar Al Islam angehören. Mehr Einzelheiten hat der Spiegel: Ein Hauch von Bagdad lag am vergangenen Freitagnachmittag plötzlich über der von Lichterketten erleuchteten Berliner City. m Polizeifunk lief die Suchmeldung: Es sei dringend Ausschau zu halten nach einem Kleinlaster mit rotem Kennzeichen. Auch ähnliche Fahrzeuge seien sofort zu stoppen. Der ominöse Wagen, so fürchteten Terrorfahnder, könne eine rollende Bombe sein. ... Gegen drei Uhr am Freitagmorgen stürmte ein vermummtes, schwer bewaffnetes Spezialeinsatzkommando der Berliner Polizei eine Wohnung im achten Stock eines Hochhauses am Käthe-Dorsch-Ring. Mit Brachialgewalt hebelten die Beamten das Schloss aus der Verankerung und brachen die olivgrüne Tür auf. Fast zeitgleich starteten Razzien bei acht weiteren Objekten. In Berlin nahmen die Fahnder Rafik Y., 30, fest, in Augsburg unweit des Oberhausener Bahnhofs Masin H., in Stuttgart Ata R., 31. Doch nichts Genaues weiß man bisher nicht: Der Anschlagsplan von Berlin, wenn es ihn denn gab, war freilich wohl eher eine spontane Idee. Selbst Nehm spricht davon, dass es "nicht eine lang vorbereitete Planung aus Anlass dieses Besuches" war, sondern "eine Ad-hoc-Entscheidung" gewesen sein könnte. Konfrontiert mit dem Inhalt der abgehörten Telefonate, stritten die Verdächtigen in ersten Vernehmungen jede Attentatsabsicht ab - und einen Sprengstofftransporter konnten Berliner Polizisten bis zum frühen Samstagmorgen auch nicht finden. Nehm hatte jedoch allen Grund zur Vorsicht: Rafik Y., bei dem die Beamten mehrere tausend Euro sowie diverse Handys fanden, und Masin H. sind als Sympathisanten der irakischen Gruppe Ansar-e Islam im Visier des Verfassungsschutzes. Man darf nun gespannt sein, welche neuen Forderungen die Wächter über die Innere Sicherheit gleich wieder vorbringen werden. Dabei scheint ja zumindest die Telefonüberwachung an sich zu funktionieren.

Etwas unter gehen derweil die fünf gestrigen Bombenanschläge auf Tankstellen in Madrid -- dort gab es eine ETA-Warnung. All die Vorkommnisse beweisen mal wieder, dass es eine absolute Sicherheit vor Terroranschlägen sowieso nicht gibt. Und interessant auch eine Warnung des EU-Antiterror-Koordinators Gijs de Vries in der Berliner Zeitung: er sieht (zumindest laut der entsprechenden dpa-Meldung) die Gefahr von Anschlägen von Terroristen, die im Irak ausgebildet wurden. Der Brüsseler Terrorbekämpfer sagte, der Irak könne dazu dienen, dass von dort aus Attentate in Europa geplant werden. Für die Geheimdienste stehe fest, dass junge Muslime aus Europa für ein militärisches Training in den Irak gereist seien. Eine Reihe von ihnen sei bereits zurückgekehrt, allein 30 davon in die Niederlande. Dies sei ein Trend, der den Mitgliedstaaten Sorgen bereite. Äh, Moment mal, sollte das durch den Bush-Krieg gegen Saddam Hussein nicht genau verhindert werden?