2004-12-07

Kosovo: Ein Kriegsverbrecher oben an der Macht?

--- Am Freitag hat das frisch gewählte Kosovo-Parlament Ramush Haradinaj zum Premier gekürt. Doch die Entscheidung löst bei vielen Beobachtern ein flaues Gefühl im Magen aus. So schreibt etwa die Berliner Zeitung heute: Aber Haradinaj muss fürchten, dass ihn seine Vergangenheit nun doch noch einholt. Die serbische Führung in Belgrad reagierte empört auf seine Wahl. Einen Mann an die Spitze zu lancieren, der im Sommer 1998 mutmaßlich an der Ermordung von 67 serbischen Zivilisten beteiligt war, sei eine Provokation für alle, die nach einer Friedenslösung für Kosovo suchten, hieß es. Nach einer Statistik, die der frühere serbische Justizministers Vladan Batic am Sonntagabend vorlegte, soll Haradinaj darüber hinaus die Ermordung weiterer 267 Menschen und die Entführung von 400 Menschen angeordnet haben. Serbische Gerichte haben in 108 Punkten Anklage gegen Haradinaj erhoben. Außerdem seien dessen Verwicklungen in Waffenhandel und Schutzgelderpressung nach dem Kosovo-Krieg evident - behauptet Belgrad. Die serbische Führung kann in Kosovo-Fragen nicht als objektiv gelten. Doch die schweren Anschuldigungen kommen nicht nur aus dieser Richtung. Vor zwei Jahren schon versuchte auch die internationale Jusitz, Haradinajs habhaft zu werden. Der Vorwurf war vergleichsweise harmlos. Ihm wurde Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen, weil einige seiner Leute bewaffnet in das Haus einer rivalisierenden Familie eingedrungen waren und diese unter Druck gesetzt hatten. Jetzt jedoch ermittelt das Haager Jugoslawientribunal wegen der Beteiligung an Kriegsverbrechen. Auch die Neue Zürcher Zeitung bemängelt, dass der Westen und insbesondere die Uno hier mehr als zwei Augen zudrücken und sich lächerlich machen würden, wenn die Wahl gutgeheißen würde: Auch wenn sich der Zorn der Kosovo- Albaner im Falle einer Anklage Haradinajs zweifellos vor allem gegen die Uno-Verwaltung richten würde - der Westen darf in keinem Fall mit zweierlei Ellen messen. Auch der serbischen Bevölkerung in Kosovo ist Unrecht geschehen. Auch an Serben wurden Verbrechen begangen. Sollten jedoch bei der juristischen Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit Kosovos politische Rücksichten genommen werden, weil die Provinz von der Uno verwaltet wird und diese nicht in noch grössere Schwierigkeiten geraten will, so würde das Tribunal in Den Haag seine Glaubwürdigkeit verlieren.