2005-01-31

Ein bisschen Demokratie für den Irak

--- Wenn schon nicht den wirklichen Frieden, so hat die im Vorfeld von zahlreichen Terrorakten bekämpfte Wahl dem Irak der Mehrheit der Medienberichte zufolge zumindest ein bisschen Demokratie gebracht. Überall machen Fotos die Runde, auf denen stolze Iraker ihre blau markierten Finger als Zeichen für die Stimmabgabe zeigen. Das Symbol ist natürlich auch so zu interpretieren, dass sie damit gleichzeitig dem Terrorpapst al-Sarkawi und seinen Mannen "den Finger" zeigen. Denn das Kalkül der Terrorbande, mit Warnungen über blutüberlaufene Straßen die Bevölkerung vom Wählen abzuhalten, gingen glücklicherweise nicht auf: Trotz der mörderischen Begleitumstände ist die Wahl im Irak ein Erfolg - für die Amerikaner, vor allem aber für das irakische Volk. Die Menschen haben mutig gegen den grassierenden Fatalismus votiert. ... Falls die Wahlbeteiligung von 60 Prozent eine belastbare Angabe sein sollte, wäre das keine Sensation aber auf jeden Fall ein gutes Ergebnis. Immerhin besser als bei manchen Landtagswahlen im friedlichen Deutschland. Nie hat eine Regierung im Irak so viel Legitimation besessen wie die, die in den kommenden Wochen in der streng gesicherten Green Zone von Bagdad eingeschworen werden wird. Das Land, das sie regieren soll, ist voller schwarzer Löcher. Vor allem im Zentralirak gab es wegen der Bürgerkriegssituation keine echte Wahlfreiheit - und das war ausnahmsweise nicht die Schuld der US-Besatzer. Über die Frage, wie sich die sunnitische Minderheit nun im neuen Irak aufzustellen gedenkt, wird in den kommenden Wochen viel spekuliert werden. ... Der Irak ist seit dem 30. Januar neben Israel und der Palästinensische Autonomiebehörde im Mittleren und Nahen Osten das einzige Land, in dem ein demokratisches Staatswesen existiert oder aufgebaut wird. ... Der Ausgang des Krieges, den die Terroristen im Irak zu gewinnen drohten, ist jedenfalls seit heute wieder offen. Viel Pathos strömt da mit in vielen Meldungen über die mutigen Bewohner des Zweistromlandes, obwohl noch abzuwarten ist, ob nicht hauptsächlich die sich auf der Suche nach einem eigenen Staat befindlichen Kurden gewählt haben. Aber zumindest scheint der Irak tatsächlich erstmals wieder eine Chance zu haben.

2005-01-28

Wahlen, Terror und Bushs vorsichtiger Rückzieher

--- Wie nicht anders zu erwarten wird die sonntägliche Wahl im Irak von massiven Terrorakten schon im Vorfeld begleitet. Zugleich mehren sich die Zweifel in der islamischen Welt, ob die Wahl überhaupt als demokratisch bezeichnet werden kann: Die Terrorgruppe von Abu Mussab al-Sarkawi hat nach eigenen Angaben wieder zugeschlagen. Im Internet verbreiteten die Islamisten jetzt ein Video, auf dem die Erschießung eines Mannes zu sehen ist. ... Er soll der Sekretär des irakischen Premiers Ijad Alawi sein. Vorher sagt er in die Kamera: "Ich rufe alle Iraker auf, insbesondere junge Menschen, die feindlichen Besatzer weder zu unterstützen noch mit ihnen zusammenzuarbeiten." ... In der Nähe eines Wahllokals in der nordirakischen Stadt Samarra explodierte ein mit Sprengstoff beladenes Auto. Dabei kamen sieben Menschen ums Leben, wie der Nachrichtensender al-Arabija berichtete. Bei Angriffen auf Straßensperren der irakischen Sicherheitskräfte in Mahmudija und Musajib südlich von Bagdad starben nach Polizeiangaben insgesamt vier Polizisten. Zwölf weitere Menschen wurden verletzt. In Bakuba riss ein Selbstmordattentäter einen Polizeioffizier mit in den Tod. Neun Menschen, darunter drei Polizisten, wurden nach Angaben von Krankenhausärzten verletzt. ... Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat sich kritisch zu den für Sonntag geplanten Wahlen im Irak geäußert. "Es ist nicht möglich, diese Wahl als vollständig demokratische Wahl zu charakterisieren", sagte Erdogan am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. Erdogan verwies insbesondere darauf, dass mit den sunnitischen Arabern eine wichtige Bevölkerungsgruppe beschlossen habe, nicht teilzunehmen. "Dies ist das Zeichen für weitere negative Entwicklungen in der Zukunft des Irak."

Bush schaltet daher jetzt doch schon mal langsam in den Rückwartsgang, wie einem Interview mit der New York Times zu entnehmen ist: resident Bush said in an interview on Thursday that he would withdraw American forces from Iraq if the new government that is elected on Sunday asked him to do so, but that he expected Iraq's first democratically elected leaders would want the troops to remain as helpers, not as occupiers. "I've, you know, heard the voices of the people that presumably will be in a position of responsibility after these elections, although you never know," Mr. Bush said. "But it seems like most of the leadership there understands that there will be a need for coalition troops at least until Iraqis are able to fight." He did not say who he expected would emerge victorious. But asked if, as a matter of principle, the United States would pull out of Iraq at the request of a new government, he said: "Absolutely. This is a sovereign government. They're on their feet."

Mehr dazu in Agenturberichten und bei Spiegel Online, wo auch eine Meldung aus dem Guardian zitiert wird: Mittlerweile sollen sich die USA und Großbritannien nach einem britischen Zeitungsbericht auf eine Rückzugsstrategie für den Irak geeinigt haben. Laut "Guardian" soll die Zahl der irakischen Polizeischüler verdoppelt werden. Aus ihren Reihen sollen dann spezielle Einheiten gebildet werden. Diese "aggressiveren" Einheiten, ein Mittelding zwischen Polizei und Armee, sollen dann nach und nach die 150.000 Mann starken alliierten Streitkräfte ersetzen. Darauf hätten sich US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein britischer Kollege Geoff Hoon Anfang der Woche verständigt, schreibt die Zeitung. Einen Zeitplan für den Abzug der Truppen gebe es aber nicht, hieß es unter Berufung auf eine britische Militärquelle weiter. ... Gestern Abend teilte der Demokrat Edward Kennedy bei einer Rede an der Johns-Hopkins-Universität hart gegen US-Präsident Bush aus: "Die US-Militärpräsenz im Irak ist mittlerweile Teil des Problems, nicht Teil der Lösung." Weiter sagte er: "Es mag Gewalt geben, wenn wir uns militärisch aus dem Irak zurückziehen, aber es wird weit mehr Gewalt geben, wenn wir unseren derzeitigen gefährlichen und destabilisierenden Kurs fortsetzen."

2005-01-27

Schock und Schrecken der Bush-Regierung

--- Auch der Economist widmet sich jetzt der wachsenden Realitätsverzerrung in den Reihen der Bush-Regierung: MOST presidents get more defensive and hesitant as they go on. George Bush is getting bolder. Since his re-election, the president has committed himself to transforming, among other things, Iraq, the Middle East, the tax system, pensions and the legal system. Phew. If he were allowed to win a third term, what would he do for an encore? Yet the gap between Mr Bush's rhetoric and what is actually happening, or is likely to happen, is embarrassingly wide. The day after his “freedom speech” his officials fanned out to explain that he didn't really mean anything specific. In Iraq things are not going according to plan—if indeed the administration actually has a plan (see article). Tax reform has been sidelined to a commission, with action this year, next year, sometime. His attempt to privatise part of the Social Security system is in trouble even before it starts. The gap between ambition and follow-through at home can partly be blamed on the fact that Mr Bush has yet to start revealing the details of his policy. But in foreign policy, the contradiction looks well established. Neo-conservatives, who loved the inauguration speech, claim that Mr Bush is undermining it through the people he has appointed. ... There is often a gap between promise and achievement in politics—and nearly always one in inauguration speeches, which are supposed to be aspirational. What is unusual about Mr Bush's ambition is the way it is centred on what might be called “discretionary policies”. Social Security privatisation, tax reform, the overthrow of Saddam Hussein and the “war on tyranny” are all causes Mr Bush chose to espouse. He was not forced to take them on by events, and no one would have censured him (much) had he not mounted these hobby-horses. In contrast, many of his other policies have either been “reactive” (the overthrow of the Taliban, the “war on terror”) or are more conventional, with deep roots in Republican tradition (like cutting taxes). The discretionary element makes Mr Bush's job much harder. Compare, for instance, the bipartisan support Mr Bush received for his “reactive” war in Afghanistan with the more patchy support he received from Democrats for his discretionary quest in Iraq; or the initial acclaim for the “war on terror” with the mixed response to his new “war on tyranny”. And this is about to get worse. Schlechte Aussichten. Cäsar Bush hat sich wohl wirklich ein wenig zu viel vorgenommen mit seiner Politik, die allüberall einen Unterschied machen soll.

Irak vor der Wahl: Jedem seine improvisierte Bombe

--- Wired News berichtet über die eifrigen und improvisierenden Bombenbastler im Irak, die der US-Armee immer stärker zusetzen: When U.S. Army Capt. Christopher Sullivan was killed last week by a handmade bomb, it was a tragedy for his family -- and a tragically ordinary event for the American military. Improvised explosive devices, or IEDs, have been responsible for hundreds of American casualties in Iraq. And so far, there doesn't appear to be any reliable way of stopping them. The Pentagon, scrambling for answers, is in the middle of a frantic search for high-tech methods to find and neutralize the jury-rigged weapons. Microwave blasts, radio-frequency jammers and chemical sensors are among the methods being explored and deployed in this largely secret effort. But, because IEDs are cobbled together from "whatever the people that plant them can find," warned Cliff Anderson, a program manager at the Office of Naval Research, "there is no magic bullet" that will suddenly end the IED threat. Almost anything that blows up can be turned into an IED, from grenades to plastic explosives to leftover mines. The most everyday of electronics -- a cell phone, a garage door opener, a child's remote-control toy -- can be recast as a trigger. And the hiding places for the handmade bombs are everywhere: in the ground, aboard a truck, even inside an animal carcass. ... So far, the strongest push to silence the bombs has come from the Army, which has ordered thousands of radio-frequency jammers from Simi Valley, California, firm EDO Communications & Countermeasures. The devices, called Warlock Green and Warlock Red, intercept "the signal sent from a remote location to the IED instructing it to detonate," an Army official told military newsletter Inside Defense. The signal "cannot make contact, therefore when it can't make contact it doesn't detonate," he added. "(It's like) the cell phone never gets through, but (enemy forces) think it goes through."

In der Zwischenzeit haben die USA noch an der Meldung zu knabbern, dass das Töten wenige Tage vor der Wahl im Irak "munter" weiter geht, auch nachdem der angebliche Oberbombenbauer Sarkawis gefangen genommen wurde: Thirty-one U.S. troops were killed in a desert helicopter crash and six more died in insurgent attacks Wednesday on the deadliest day for American forces since they led the invasion of Iraq in March 2003. With just four days before Iraq's national election, at least 23 Iraqis were also reported killed Wednesday in a series of suicide bombings and ambushes by insurgents intent on disrupting the vote. Anxious residents are preparing for a virtual three-day national lockdown beginning Friday, in which Iraq's borders will be sealed, schools and businesses closed and driving banned. The military transport helicopter crash, which killed 30 Marines and one sailor, occurred during bad weather as troops conducted a mission to prepare for Sunday's election, officials said. The cause of the crash was under investigation and the names of the victims were not released immediately by the military. There were no survivors, officials said. Bush hält derweil krampfhaft an seiner längst schal gewordenen Befreiungsrhetorik fest: President Bush, who is facing growing skepticism at home over his handling of the war, expressed condolences to the victims' families and urged Americans to be patient with progress in Iraq. "The story today is going to be very discouraging to the American people," the president said during a White House news conference. "I understand that. We value life. And we weep and mourn when soldiers lose their life." "But it is the long-term objective that is vital," Bush said, "and that is to spread freedom." Die Iraker fordert Bush auf, trotz der überaus hohen Terrorgefahr wählen zu gehen: „Ich bin stolz auf den Irak und seine Menschen“, sagte George W. Bush in einem Interview mit dem Sender Al Arabia. „Ich will denjenigen Anerkennung für ihren Mut zollen, die zum Aufbau und zur Stärkung der Demokratie beitragen.“ Am Sonntag gebe es eine historische Wahl für den Irak, und er hoffe auf eine große Beteiligung. Auf der ersten Pressekonferenz seiner zweiten Amtszeit sagte Bush: "Ich bitte alle Menschen dringend, sich diesen Terroristen zu widersetzen."

Eine Reportage über die irakische "Demokratie hinter Panzersperren" bringt die Zeit. Eine gute Internetinformationsseite für alle, die sich tiefer mit den zur Wahl stehenden Parteien beschäftigen wollen, ist Election Monitor Iraq.

2005-01-26

Disinfopedia goes SourceWatch

--- Das Anti-Propaganda-Wiki Disinfopedia (betrieben vom Center for Media and Democracy) hat an seinem Namen selbst mal ein wenig herumgesponnen und hört nun auf den Titel SourceWatch (eventuell auch inspiriert von den ganzen Mediawatchern und Watchblogs). Zur Begründung schreibt Sheldeon Rampton von der Nichtregierungsorganisation: Launched in March 2003, the Disinfopedia has grown rapidly to include more than 6,000 articles about PR firms, think tanks, industry-friendly experts and many of the other individuals and institutions that play an important role in shaping public opinion and public policies. We're very happy with the way supporters of our work have stepped forward to contribute information and insights to the project. Along the way, however, we began to hear complaints about the name, which some people felt sounded too "paranoid." Others pointed out that as the Disinfopedia grew, it came to include a range of people and organizations, some of which are indeed guilty of deceptive practices, but not all. I think that these are legitimate criticisms. I am the person who coined the name "Disinfopedia." It was intended in part as a reference to the Wikipedia, a free, online, wiki-based encyclopedia that runs on the same software. It was also intended as a tongue-in-cheek commentary on the Bush administration's ill-fated Total Information Awareness program. Our original logo for the Disinfopedia, which you can see here, even mimicked the TIA's own logo, with its all-seeing eye. ... After surveying Disinfopedia users and consulting with a number of people who have been friends and advisors to the Center for Media and Democracy, we settled on the new name "SourceWatch." We feel that this name accurately reflects the project's expanded purpose: to track the the people and organizations that serve as sources of information and ideas regarding important public issues.

Ganz interessant dazu auch eine Meldung in der FT zum Thema Glaubwürdigkeit von NGOs: Pressure groups and charities have overtaken governments, media and big businesses to become the world's most trusted institutions, according to an international poll to be presented this week to the World Economic Forum in Davos. An annual survey of attitudes in eight countries suggests public trust has been eroded by scandals such as corporate malfeasance and discredited journalism. The survey, conducted in December for Edelman, a US public relations firm, found that non-governmental organisations (NGOs) such as Amnesty International and Greenpeace now scored the highest for trustworthiness in the US and Europe. Kein Wunder bei all dem Gespinne von Politikern und vielen Mainstream-Medien.

2005-01-25

Folter in irakischen Gefägnissen weit verbreitet

--- Abu Ghraib hat anscheinend Schule gemacht und Nachahmer auch unter irakischen Gefängnisaufsehern gefunden, vermeldet Human Rights Watch: Die irakischen Sicherheitskräfte begehen systematische Folter und wenden andere Formen der Misshandlung gegen Gefangene an, erklärte Human Rights Watch in einem neuen, heute veröffentlichten Bericht. Der 94-seitige Bericht „The New Iraq Torture and Ill-treatment of Detainees in Iraqi Custody“ beschreibt, wie willkürliche Festnahmen, langfristige Isolationshaft, Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen (darunter auch Kinder) durch die irakischen Behörden zur Routine geworden sind. Human Rights Watch hat im Irak Befragungen von 90 Gefangenen durchgeführt, von denen 72 angeblich gefoltert oder misshandelt wurden, vor allem während der Verhöre. Obwohl aufständische Gruppen zahlreiche Anschläge auf die irakische Polizei verübt haben, sei dies keine Rechtfertigung für die von den irakischen Behörden begangenen Misshandlungen, meinte Human Rights Watch. „Den Menschen im Irak wurde nach dem Fall der Regierung Saddam Husseins etwas Besseres versprochen,“ sagte Sarah Leah Whitson, Direktorin der Mittlerer Osten- und Nordafrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Die irakische Regierung hält ihr Versprechen nicht, die grundlegendsten Menschenrechte zu achten und zu wahren. Traurigerweise leidet die irakische Bevölkerung nach wie vor unter einer Regierung, die bei der Misshandlung von Gefangenen ungestraft vorgehen kann.“ Die von den Gefangenen angeführten Foltermethoden umfassen Schläge mit Kabeln, Schläuchen und anderen Hilfsmitteln. Die Gefangenen berichteten, dass sie getreten, mit der Hand oder der Faust geschlagen, über längere Zeiträume hinweg mit hinter dem Rücken gefesselten Händen an den Handgelenken aufgehängt wurden, elektrischen Schlägen an empfindlichen Körperstellen wie Ohrläppchen und Genitalien ausgesetzt waren und mehrere Tage lang ununterbrochen mit verbundenen Augen und/oder Handschellen festgehalten wurden. In mehreren Fällen erlitten die Gefangenen möglicherweise dauerhafte körperliche Schäden. Gefangene berichteten ferner, dass irakische Sicherheitsbeamte ihnen Nahrung und Wasser vorenthalten und sie in kleine überfüllte Zellen gesteckt haben, in denen sie nur stehen konnten. Zahlreiche Gefangene beschrieben, wie die irakische Polizei Bestechungsgelder verlangte, um die Gefangenen freizulassen, ihnen Kontakt mit Familienmitgliedern zu erlauben oder ihnen Nahrung und Wasser zu geben.

Die LA Times berichtet derweil über neue Dokumente, die weitere Misshandlungen irakischer Gefangener durch amerikanischer Wächte und Militärsoldaten belegen sollen. Pentagon documents released Monday disclosed that Iraqi prisoners had lodged dozens of abuse complaints against U.S. and Iraqi personnel who guarded them at a little-known palace in Baghdad converted to a U.S. prison. Among the allegations was that guards had sodomized a disabled man and killed his brother, whose dying body was tossed into a cell, atop his sister. The documents, obtained in a lawsuit against the federal government by the American Civil Liberties Union, suggest for the first time that numerous detainees were abused at Adhamiya Palace, one of Saddam Hussein's villas in eastern Baghdad that was used by his son Uday. Previous cases of abuse of Iraqi prisoners have focused mainly on Abu Ghraib prison. ... "Some of the investigations have basically whitewashed the torture and abuse," said the group's director, Anthony D. Romero. "The documents that the ACLU has obtained tell a damning story of widespread torture reaching well beyond the walls of Abu Ghraib." Dazu kommen Meldungen, dass in Guantanamo im Sommer 2003 zwei Dutzend Häftlinge kollektiven Selbstmord begehen wollten. Das Folterthema wird damit immer heikler für Bushs neuen Justizminister Gonzales. Andererseits soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch von Deutschland aus anscheinend mal wieder Qaida-Attentate vorbereitet wurden.

Terror und Medien in der Aufmerksamkeitsspirale

--- Stephan Alexander Weichert versucht sich in Telepolis an der Aufarbeitung des terroristisch-medialen Beziehungskomplexes: Dieser eruht auf einem Tauschverhältnis mit Folgen: So wird neben einer stetig wachsenden Abhängigkeit der Terroristen von den Medien gleichzeitig eine gewisse Abhängigkeit der Medien vom Terrorismus registriert. Der 11. September 2001 und die darauf folgenden Terroranschläge der vergangenen Jahre haben eine Debatte darüber entfacht, ob und vor allem wie Medien über Terrorakte berichten sollen - und das nicht allein aus ethischen Gründen. Sondern auch, um nicht zu unfreiwilligen Handlangern von Terroristen gemacht zu werden. ... Eine mögliche gegenseitige Abhängigkeit von Medien und Terrorismus wäre folgenreich: Sie könnte "zu einem zentralen Problem demokratischer Gesellschaften werden, die auf umfassende Informationen, Ursachenanalyse, gesellschaftliche Debatten und politische Diskurse angewiesen sind", merkt der Publizist und Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier in der taz vom 11. September 2004 an. Dabei ist nicht nur eine eigenartige Mischung aus aufgeregtem 'Realtime-Reflex' seitens der Journalisten und einer wachsenden 'Breaking-News-Mentalität' seitens der Medienunternehmen zu spüren, die dieses grausame Wechselspiel um die Aufmerksamkeit des Publikums begünstigen. Vielmehr ist laut Kreimeier eine simple Erfolgslogik dafür verantwortlich: Im Zuge der Globalisierung der Nachrichten funktioniere schließlich auch die Bewusstseinsindustrie nach den Gesetzen des Marktes. Terrorismus und Medien folgten daher einem "Zwang zur Selbstüberbietung", heißt: Wo sich die einen durch Gewaltanwendung und Massenmord einen maximalen Störeffekt erhoffen, wünschen sich die anderen durch dramatisierende und emotionalisierende Gewaltberichterstattung den maximalen Marktanteil.

Leider bringt der Artikel letztlich nicht viel, was nicht schon mit den diversen Nachrichtenwerttheorien zum Ausdruck gebracht wird. Die vorgebrachten Lösungsansätze sind banal bis schal und gehen deswegen wohl wieder mal einfach im Redaktionsalltag unter, so sie dort denn überhaupt gehört werden. Aber wer sich mit dem Thema noch nicht viel beschäftigt hat, findet sicher ein paar Anhaltspunkte.

2005-01-24

Iran geht weiter gegen Blogger vor

--- Die LA Times hat mal wieder einen Report über die Leiden iranischer Blogger: The criminal seems younger than his 25 years. He is the quiet type, shy and lanky, peering solemnly through octagonal glasses. He has no weapons, not in the traditional sense. His name is Hanif Mazroui, and the tools of his crime are a handful of ideas and skinny fingers flying over the keyboard. He is one of about 20 Iranian Web loggers and journalists who have been arrested and jailed in recent months. Government prosecutors call Mazroui a violator of national security and an inciter of unrest. If you ask the nation's conservative mullahs, he's an acid eating away at the fabric of the Islamic revolution. He has done time in solitary confinement, and reportedly weathered death threats from judiciary officials. Asked about his time in prison, Mazroui dropped his chin, studied his shoes and said, "I prefer not to talk about it." ... After toiling for years to silence dissent within the Iranian republic, the mullahs have turned their war against free press to the last reserve of open political debate: the Internet. Since the summer, Iran's Web loggers, or bloggers, and online journalists have been demonized as CIA collaborators, their work whitewashed from many Iranian computers with filters. "They can't accept the free exchange of ideas and equality offered by the Internet," said Sayed Mustafa Taj-Zadeh, an advisor to reformist President Mohammad Khatami. "They had to crack down on it." ... In their first year, nearly 3,000 Persian blogs sprang to life. In a nation where apathy has saturated the younger generation, there were hopes for a political awakening on the Internet. Intimate and interactive, the Internet holds tremendous appeal here, delivering a slice of the world, a tangle of private and public utterances, into studies and living rooms. But as its political uses became clear and as reformists began to move their censored ideas into the freewheeling realms of cyberspace, the government soured on the Internet. The fight began quietly when filters appeared, blocking Web pages. ... The arrest of online journalists and bloggers began last fall. The writers say they were tortured and forced to publicly denounce their work. Even technicians who worked on Web pages have been imprisoned. President Khatami has ordered an investigation into the reports of torture.

Update: Mehr zum Thema gefolterte Weblogger im Iran jetzt in Telepolis.

Pentagon entwickelt Nano-Bomben

--- Seit langem sind sie ein Horror für Techno-Apokalyptiker wie Bill Joy: ganz neue Waffenarten dank Nanotechnologie. Jetzt macht das US-Verteidigungsministerium ernst mir der Entwicklung der "Killer-Applikation": Nanotechnology is grabbing headlines for its potential in advancing the life sciences and computing research, but the Department of Defense (DoD) found another use: a new class of weaponry that uses energy-packed nanometals to create powerful, compact bombs. With funding from the U.S. government, Sandia National Laboratories, the Los Alamos National Laboratory, and the Lawrence Livermore National Laboratory are researching how to manipulate the flow of energy within and between molecules, a field known as nanoenergentics, which enables building more lethal weapons such as "cave-buster bombs" that have several times the detonation force of conventional bombs such as the "daisy cutter" or MOAB (mother of all bombs). Researchers can greatly increase the power of weapons by adding materials known as superthermites that combine nanometals such as nanoaluminum with metal oxides such as iron oxide, according to Steven Son, a project leader in the Explosives Science and Technology group at Los Alamos. "The advantage (of using nanometals) is in how fast you can get their energy out," Son says. Son says that the chemical reactions of superthermites are faster and therefore release greater amounts of energy more rapidly. "Superthermites can increase the (chemical) reaction time by a thousand times," Son says, resulting in a very rapid reactive wave. Son, who has been working on nanoenergetics for more than three years, says that scientists can engineer nanoaluminum powders with different particle sizes to vary the energy release rates. This enables the material to be used in many applications, including underwater explosive devices, primers for igniting firearms, and as fuel propellants for rockets. However, researchers aren't permitted to discuss what practical military applications may come from this research. Because nanometal provides a higher concentration of energy while requiring fewer raw materials, the overall cost of these weapons would drop, according to Kevin Walter, vice president of technical business development at nanometals manufacturer Nanoscale Technologies. "You get a little better bang for your buck," Walter says. Mehr Bombenkraft für weniger Dollars -- da kann das Pentagon natürlich nicht Nein sagen. Wen stört es, dass gleichzeitig alle bestehenden Waffenkontrollabkommen mit der neuen Gattung über den Haufen geschmissen werden.

Update: Artikel jetzt auch auf deutsch bei Technology Review.

Amerikanische TV-News = Bad News

--- TV-Versagen hoch drei: Der Ex-CBS-Auslandsreporter Tom Fenton rechnet in seinem Ende März erscheinenden Buch Bad News (dramatischer Untertitel: How the Failing News Industry Is Endangering Americans) mit den US-Fernsehnachrichten ab, schreibt die Washington Post: In late 1996, veteran CBS foreign correspondent Tom Fenton pitched his network on a plan to use Saudi connections to land an interview with Osama bin Laden. "Our bosses saw him as an obscure Arab of no interest to our viewers," Fenton says. "More concerned with saving dollars than pursuing the story, they killed the project." Months later, Fenton says, he sat down with an Arab journalist who had interviewed bin Laden and described his violent designs on America, but "our navel-gazing executives" left that part of the piece "on the cutting-room floor." He says CBS executives asked that all references to bin Laden be cut because the story had "too many foreign names." ... Fenton, who retired last month, uses tales like these to castigate network news for failing to adequately cover the rest of the world. It is a stinging indictment that gains force from his quarter-century of service in CBS's London bureau. Fenton blames "corporate greed" for the decline, saying he was "beaten down by the corporate bean counters" and had "so many of my stories rejected" in the decade before 9/11. CBS's London bureau, he writes, "doesn't do much reporting any more. What it does is called packaging," assembling video and facts gathered by outside organizations. Likening the practice to Dan Rather's use of what Fenton calls "phony" memos in the discredited story on President Bush's National Guard service, Fenton says the networks "take it on trust. Don't shoot it, don't report it -- just wrap it up and slap the CBS eye on it." ... The book argues that media inattention contributed to America's isolation and false sense of security: "Foreign correspondents like myself came to be regarded as alarmists, waving our arms from remote places like Rwanda or Yugoslavia, trying in vain to attract attention." Nicht einmal bad news sind good news im US-TV.

2005-01-23

Neuer diplomatischer Kurs bei Bush nicht sichtbar

--- Was wird nun konkret nach Bushs erneuter Amtseinführung mit den Ankündigungen neuer diplomatischer Allianzen mit den traditionellen Verbündeten? Der US-Präsident wird mit seiner neokonservativen Agenda für die zweite Amtszeit während seinen kommenden Werbetouren durch Deutschland und Europa wohl kaum auf allzu offene Arme stoßen, schreibt die Washington Post: For all the talk of fresh diplomacy and rebuilding frayed alliances, Bush heads into his second term still demanding that the rest of the world meet him on his terms -- and now he has redefined those terms to an even more provocative degree with an inaugural address articulating a grand vision for spreading democracy and "ending tyranny" in "every nation." With his eye on history, Bush wants to change the world. The rest of the world is not necessarily so eager to be changed. While administration officials have since tried to tamp down expectations of a radical shift in policy, the inaugural speech reflected a worldview dramatically at odds with that in many parts of Europe and the Middle East, where it has only confirmed the image of Bush as an American unilateralist pursuing his own agenda with messianic fervor.

Update: Ein Dean-Anhänger hat inzwischen mal die ganzen Spindoktoreien des Weißen Hauses rund um die Inaugurationsrede zusammengestellt. Und Telepolis wirft einen Blick auf Bushs Einflüsterer der Freiheitsrhetorik.

Rumsfelds Schnüffeltruppe

--- Die Washington Post hat neue Details zu den bereits bekannt gewordenen Planungen des Verteidigungsministeriums, seinen Geheimdienstapparat aufzustocken und unabhängiger von der CIA zu werden. Das US-Militär soll damit besser zum Aufbau heimlich agierender Einheiten für Spezialoperationen, die natürlich auch weniger der demokratischen Kontrolle unterstehen, befähigt werden: The previously undisclosed organization, called the Strategic Support Branch, arose from Rumsfeld's written order to end his "near total dependence on CIA" for what is known as human intelligence. Designed to operate without detection and under the defense secretary's direct control, the Strategic Support Branch deploys small teams of case officers, linguists, interrogators and technical specialists alongside newly empowered special operations forces. Military and civilian participants said in interviews that the new unit has been operating in secret for two years -- in Iraq, Afghanistan and other places they declined to name. According to an early planning memorandum to Rumsfeld from Gen. Richard B. Myers, chairman of the Joint Chiefs of Staff, the focus of the intelligence initiative is on "emerging target countries such as Somalia, Yemen, Indonesia, Philippines and Georgia." ... The Strategic Support Branch was created to provide Rumsfeld with independent tools for the "full spectrum of humint operations," according to an internal account of its origin and mission. Human intelligence operations, a term used in counterpoint to technical means such as satellite photography, range from interrogation of prisoners and scouting of targets in wartime to the peacetime recruitment of foreign spies. A recent Pentagon memo states that recruited agents may include "notorious figures" whose links to the U.S. government would be embarrassing if disclosed. Da würden wir natürlich schon gerne wissen, welche "Prominenten" da für Rumsfeld weltweit schon arbeiten. Perhaps the most significant shift is the Defense Department's bid to conduct surreptitious missions, in friendly and unfriendly states, when conventional war is a distant or unlikely prospect -- activities that have traditionally been the province of the CIA's Directorate of Operations. ... Some Pentagon officials refer to the combined units as the "secret army of Northern Virginia."

2005-01-22

Entsetzen über den "Bomben-Holocaust" der NPD

--- Mal wieder sorgt die metaphorische Verwendung eines Begriffs aus dem Umfeld der Judenvernichtung im Dritten Reich: für gehöriges Aufsehen: Die Republik ist schockiert über die NPD. Zuerst boykottierten die Rechtsextremen gestern eine Schweigeminute für Nazi-Opfer, später verglichen sie die Bombardierung Dresdens mit dem Holocaust. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob Volksverhetzung vorliegt. Antisemitismus sei "wieder salonfähig", klagt der Zentralrat der Juden. ... Die zwölf NPD-Abgeordneten hatten gestern für einen Eklat gesorgt, weil sie während einer Schweigeminute für die Opfer der Nazi-Diktatur demonstrativ den Plenarsaal verlassen hatten. ... So schaltete der Landtagspräsident dem NPD-Fraktionschef Apfel das Mikrofon ab, als dieser vom "Massenmord" und von "angloamerikanischen Gangsterkomplizen" sprach. ... Der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel bezeichnete die alliierten Angriffe als "Bomben-Holocaust". Angesichts dieser Ausfälle sprach der SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz heute von "geistigem Brandstiftertum". Er appellierte an die Bürger, sich das Verhalten der NPD nicht gefallen zu lassen. "Da sollten die Bürger aufstehen; das ist nicht hinnehmbar, was da läuft." Aufsehenerregende Vergleiche rund um Hitler und Holocaust gehören seit Jahrzehnten zur Sprache der Politik und der Propaganda. Die linke taz hatte in den 1980ern auch mal für einen Eklat gesorgt, als sie eine Berliner Disco als "gaskammervoll" bezeichnete. Doch bei der NPD liegt der Fall natürlich anders und es handelt sich um bewusste Provokation -- die hierzulande quasi zum Erfolg verdammt ist, weil sich alle anderen Kräfte einfach darüber aufregen müssen. Die Wähler der NPD dürfte das Ganze Trara dagegen wohl kaum stören, da müsste also dann höchstens schon wieder ein Parteiverbot her.

Update: Schily ist mal wieder lustig: Er sieht keine Chance für ein neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD. Hohe Hürden stünden einem erneuten Anlauf im Weg, sagte Schily. Stattdessen will der Innenminister das Versammlungsrecht verschärfen. "Ich werde dazu demnächst einen Entwurf vorlegen", sagte Schily. Doch die Grenzen für eine Verschärfung sind auch nach Auffassung des Innenministeriums außerordentlich eng, da die Versammlungsfreiheit zu den Grundrechten gehört. Was soll denn nun aber das Demonstrationsrecht an sich mit den rhetorischen Provokationen der NPD zu tun haben? Auf diesem Weg dürfte wohl kein Brauner von seiner Gesinnung abzubringen sein, stattdessen wären eher viele berechtigte Protestzüge das Opfer.

Update 2: Einen guten Kommentar zu Schilys Demoverbotsplan, der in der Hauptstadt auch viel Unterstützung findet, gibt es jetzt in der Berliner Morgenpost.

Irak: Enthauptung auf offener Straße

--- Die Mannen al-Sarkawis haben eine gute Woche vor der geplanten Wahl im Irak zwei Männer auf offener Straße geköpft und ein Video der Bluttat im Netz veröffentlicht. Die Nachrichten darüber machen momentan online die Runde, etwa beim NEIN: The al-Qaeda group in Iraq led by the most despicable Abu Musab al-Zarqawi posted a video on an Islamic website Friday showing the beheading of 2 Iraqis who "confessed" to working at a U.S. base. The men, who identified themselves as Ali Hussein Jassem Mohammad al-Zubaidi and Ahmad Alwan Hussein al-Mahmadawi in the video said they were residents of Sadr City and worked at a US base in Ramadi, a city west of Baghdad. Meanwhile, the Muslim majority here in the U.S. remains silent despite the inhumanities. Das Video selbst gibt es auf einschlägigen Schockerseiten wie Ogrish. Spiegel Online berichtet ebenfalls über die brutale Abschlachtung der beiden Iraker: Das Videoband ist etwa zehn Minuten lang. In welcher Stadt im Irak es aufgezeichnet wurde, ist unklar. ... Mit der Überschrift "Die Informationsabteilung der al-Qaida im Zweistromland präsentiert Euch ein Band mit den Geständnissen und der anschließenden Vollstreckung des göttlichen Urteils zweier vom Glauben Abgefallener, die den USA geholfen haben" wurde die Videoaufzeichnung heute am frühen Morgen auf einer arabischsprachigen Internetseite abgelegt. Die beiden Männer geben vor ihrer Enthauptung zu, als Lastwagenfahrer Nahrungsmittel für die Amerikaner transportiert zu haben. ... Gepostet wurde das Band unter demselben Namen, unter dem schon in der Vergangenheit Botschaften und Videos aus dem Umfeld des Topterroristen Abu Musab al-Sarkawi abgelegt wurden: Abu Maisara al-Iraki. Das US-amerikanische Terrorforschungsinstitut Site glaubt, dass sich hinter diesem Namen der Sprecher Sarkawis verbirgt. Mehrere entführte und in einem Video vorgeführte Chinesen sind dagegen wieder frei. Hierzulande soll derweil die "Aktion Kehraus" für Ruhe sorgen: Die Beamten in Bund und Ländern stellen schwarze Listen von Islamisten zusammen, die in nächster Zeit ausgewiesen werden sollen. Die Grundlagen des Terrors lassen sich damit allerdings nicht gerade bekämpfen.

Update: Sollte es Sarkawis vorläufig letzte Schandtat gewesen sein? Die Gerüchteküche brodelt. Mehr zu dem barbarischen Akt selbst jetzt in Telepolis.

Update 2: Sarkawi soll auf einem Tonband der "unislamischen" Demokratie den Kampf erklärt haben.

2005-01-20

Proteste bei Bush-Vereidigung: wieder kein Medienthema?

--- Die heutige Vereidigung Bushs, wegen der Washington in eine Festung verwandelt wird, ist an sich natürlich ein großes Medienthema. Überall wird mal wieder spekuliert, ob der Irak-Kriegsherr trotz der aktuellen Verstimmungen mit dem Irak in der zweiten Amtszeit sanfter und diplomatischer wird. Bush selbst will das vage, aber in den USA überaus positiv besetzte Thema "Freiheit" bei den 40 Millionen Dollar teuren Inaugurationsfeiern beackern: "Ich lege morgen den Amtseid ab und werde in meiner Antrittsrede über die Freiheit reden", kündigte Bush an. "Das ist die Sache, die unser Land eint und der ganzen Welt Hoffnung gibt." Er sei bereit und begierig, die vor ihm liegenden Aufgaben anzupacken. Freiheit eine das Land, gebe der Welt Hoffnung "und wird uns in eine Zukunft des Friedens führen", sagte Bush den Konzertbesuchern. Die amerikanische Nation rief er auf, nach dem Wahlkampf zur Einheit zurückzufinden und sich auf die zukünftigen Aufgaben zu konzentrieren. Danny Schechter wirft im Mediachannel derweil die Frage auf, ob es die angekündigten Gegendemos wohl dieses Mal schaffen, die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf sich zu ziehen: Not surprisingly, the protesters will be out in force as they were in 2000. Back then, the press barely took notice of the biggest inaugural protest in American history. Writer Dennis Loy Johnson wrote a must-read little book called "The Big Chill" on "The great unreported story of the Bush Inauguration Protests..." (Melville House.) The protests were ignored, he charges, "There seemed to be a determined and almost paternalistic effort by the media to soothe and assure the populace that everything was fine, that the democracy was running smoothly (as if that was the obligation of either print or broadcast journalists) that there was, in any case no dissent except from the usual suspects …" That was then. That event signaled a new media paradigm for marginalizing dissenters. Last year, the Post's ombudsman Michael Getler investigated complaints that the Post had been downplaying protests and minimizing their numbers. He concluded that the complaints were valid. And it was done as a matter of policy. The paper carried a mini-mea culpa about its prewar coverage. And then it was back to news business as usual. Mehr zum Thema bei ReDefeatBush.com.

Update: Die Washington Post hat inzwischen beispielseweise einen Report auch über die Demonstrationen gegen Bush online. Mehr zu der Rede, die tatsächlich von den Gegenpolen Freiheit und Tyrannei lebte, in Telepolis.

Update 2: Die Washington Post sieht keinen Kurswechsel bei Bush, die Rede sei die "indoktrination" seiner Politik (bzw. die seiner neokonservativen Einflüsterer) gewesen. Die arabische Welt schätze Bushs Rhetorik als hohl ein.

2005-01-19

Folterskandal nun auch in Großbritannien

--- Gefälschte Fotos mit angeblichen Misshandlungen irakischer Gefangene durch britische Soldaten machten ja schon mal die Runde, aber nun scheinen die Briten wohl doch einen Folterskandal zu haben: Die Aufnahmen von Folterungen irakischer Gefangener durch britische Soldaten im Irak könnten die im Irak stationierten Truppen zusätzlich gefährden, heißt es in der britischen Presse. Mehrere Zeitungen veröffentlichten heute die Bilder, die an die Folterfotos von US-Soldaten im Bagdader Gefängnis Abu Ghureib erinnern. Sie sind Teil der Anklage gegen drei britische Soldaten, gegen die gegenwärtig wegen des Verdachts der Misshandlung irakischer Gefangener vor einem Militärgericht auf einem britischen Militärstützpunkt in Osnabrück verhandelt wird. "Schande" und "Schock" lauteten einige der Überschriften über den Bildern, auf denen nackte Iraker zu sehen sind, die offenbar sexuelle Handlungen simulierten. Auf anderen Fotos werden Gefangene offenkundig geschlagen und misshandelt. Die drei Soldaten haben sich für nicht schuldig erklärt. Anders als im Fall Abu Ghureib gibt es bislang keine Vorwürfe systematischer Folter bei den britischen Truppen. Dennoch dürften die Bilder zur einem Wutausbruch in der arabischen Welt führen und den Ruf der britischen Armee beschmutzen, schreibt die "Times". Die "Financial Times" sieht aus dem Skandal neue politische Risiken für Blair erwachsen, dessen enge Allianz mit den USA im Irakkrieg bei der Mehrheit der Briten auf Kritik gestoßen war. Mehr dazu u.a. im Guardian oder bei der BBC.

Update: Jetzt auch in ein Bericht zum Abu Ghraib der Briten in Telepolis.

Stabilitätspakt: Schröders Kurswechsel

--- Die FAZ widmet sich heute der Kommunikationsstrategie dem Regierungsduo, Franz Müntefering und Gerhard Schröder. Weil in diesem und vor allem im Wahljahr 2006 teure Wahlgeschenke ein kostbares Gut für die Regierung sind, strebt Rot-Grün die Lockerung des Stabilitätspaktes an. So etwas will aber vorbereitet sein, schließlich hat sich Rot-Grün jahrelang als Spar-Regierung geriert. Dazu schreibt Günter Bannas: "Einen Kurswechsel legen die beiden langfristig an. Sie operieren mit versteckten Hinweisen und mit dementierten Dementis, mit Nebensätzen und mit dem Kleingedruckten. Am Ende können sie sagen, der neue Kurs sei gar nicht neu, sondern die Fortsetzung des alten Weges. Sie verstehen das auch als Überzeugungsarbeit, und einen besonders langen Atem braucht es, wenn sie daran gehen, den - in ihren Augen oft genug sperrigen - Finanzminister Eichel auf Linie zu halten. Maastrichter Verschuldenskriterien, Konsolidierungskurs? Nichts ist mehr so, wie es 1999 war, als Eichel sein Amt als Finanzminister antrat und als Sparkommissar über allgemeines Ansehen verfügte."
Bei so einem Wandel muss man natürlich gute Argumente anführen, um den Boden für eine positive Debatte darüber zu initiieren. "Seit Frühjahr 2003 - also einem halben Jahr nach der Bundestagswahl - wurde am Paradigmenwechsel in der Verschuldenspolitik gearbeitet. Das ging zeitlich einher mit den innerparteilichen Debatten über das Agenda-2010-Programm, welches in der SPD als beispiellose politische Zumutung empfunden wurde. Schröder verfolgte das Ziel, die Kritiker in der Partei mit Hinweisen auf arbeitsmarktfördende Maßnahmen zu beruhigen. Debatten über das Drei-Prozent-Kriterium nannte er im Parteivorstand - keineswegs beiläufig - „berechtigt”. Auch könne sich der Irak-Krieg mit seinen möglichen Folgen auf den Konsolidierungskurs insgesamt auswirken. Parteilinke rieten zu einer europäischen Initiative. Schröder sagte: „Das sehe ich genauso.” Gespräche werde es geben und wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt könne es ein „Weiter so” in der Konsolidierungspolitik nicht geben."
Und so fordert Schröder nun also das bislang Undenkbare und setzt es vor allem durch, was obendrein den europäischen Gedanken indirekt beschädigt: "Schröder forderte, bei der Bewertung der Kriterien seien künftig Sonderlasten zu berücksichtigen - Kosten für Strukturreformen, Beiträge für die Europäische Union und - speziell für Deutschland - die weiterhin anfallenden Kosten der deutschen Einheit. In dem Papier Münteferings wird - entsprechend - der bisherige Konsolidierungskurs neu definiert und Konditionen unterworfen. „Es muß gespart werden, wo dies konjunkturunschädlich möglich ist”, heißt es in dem Text. Sodann: „Die Finanzprobleme werden bis 2010 nicht völlig verschwunden sein. Trotzdem darf das Schließen von Haushaltslöchern nicht das politische Handeln dieser Jahre dominieren.”
Erst die Nation, dann Europa, lautet das Motto der Wahlkämpfer.

Webkampagne gegen Raffke-Mentalität bei Politikern

--- Schier täglich führen Indiskretionen gegenüber der Presse momentan zu neuen Enthüllungen über geschmierte Politiker. Gestern erregte der Fall Werner Müller mit seiner frühzeitigen "Rente" die Gemüter, heute ist es der grüne Ludger Volmer, der nicht nur als Volks-, sondern als Firmenvertreter tätig ist. Eine interessante Aktion für Netzbürger, die dem nicht länger tatenlos zusehen und sich ohne großen Zeitaufwand für eine Offenlegung sämtlicher Nebeneinkünfte und Gehälter von Abgeordneten einsetzen wollen, hat da nun Campact gestartet. Bericht dazu gibts in c't aktuell: Mit der Online-Petition will Campact mehr "Bewusstsein schaffen für die Bedeutung von Lobbyeinfluss auf die Politik", sagt Bautz. Die Verschränkung zwischen parlamentarischen Arbeit und den Interessensvertretern hat seiner Ansicht nach "erschreckende" Ausmaße angenommen. Der Lobbyismus müsse daher "zurück in die Lobby, nämlich den Vorraum des Parlamentes", fordert er. Mit der um sich greifenden Einflussnahme auf die Politik sei es "wie mit Dracula: Im klaren Licht der Öffentlichkeit" sei sie ungefährlich. Campact drängt auf eine generelle Überprüfung der Gelder, die Abgeordnete und sonstige Politiker nebenbei einstreichen. Es mache keinen Sinn, nur Zahlungen "ohne Gegenleistung" anzuprangern. Vielmehr müsse ein "strukturelles Problem" der Interessensverschränkung bekämpft werden, ohne Abgeordnete unter Generalverdacht zu stellen. ... Vorbild ist die US-amerikanische Aktionsplattform MoveOn.org, die laut Bautz zu den "entscheidenden zivilgesellschaftlichen Akteuren" jenseits des Atlantiks gehöre und an der sich regelmäßig 2, 7 Millionen Menschen beteiligten. International einen Namen machte sich das Netzwerk vor allem wegen seiner -- letztlich aber vergeblichen -- Aktionen gegen den Irak-Krieg und die Wiederwahl George Bushs zum US-Präsidenten. Momentan bewegt sich auf der Site aber nicht viel -- anscheinend wollten zu viele Bürger ihrer Empörung Luft machen.

Krieg der Worte im Krieg gegen den Terror

--- Michael Keane, Autor des bald erscheinenden Buchs "Dictionary of Modern Strategy and Tactics", kommentiert in der LA Times den Krieg der Worte und die "gefolterte Sprache" im Krieg gegen den Terror: Official Pentagon news releases continue to avoid the more neutral "guerrilla" or "militant" in favor of "terrorist" and "anti-Iraq forces." Last summer, when the Pentagon insisted that its quick victory over Iraq's conventional forces was not deteriorating into a guerrilla war, a reporter confronted Donald Rumsfeld with the Defense Department's own definition of the term — "Military and paramilitary operations conducted in enemy-held or hostile territory by irregular, predominantly indigenous forces." ... The careful selection of words in war is almost always a calculated attempt to manipulate perceptions. Whether an act of violence is called a "suicide bombing" or a "homicide bombing" depends more on the politics of the speaker than on any sincere attempt to describe objective reality. Even when the language of war is mechanical or colorless it may be deliberate, an attempt to shield both civilians and soldiers from the horrors of modern conflict. "Battles are won through the ability of men to express concrete ideas in clear and unmistakable language," concluded Brig. Gen. S.L.A. Marshall, who studied soldiers in combat in World War II. Before the coalition's recent attack on enemy forces in Fallouja, the American commander there changed the rules of engagement from "capture or kill" to "kill or capture." He sought to communicate to his troops that they were shifting to the offensive and to instill the aggressive posture needed for success in combat. ... Our military commanders and political leaders must be careful that in using language to deceive the enemy, to propagandize or to persuade, they do not obscure their own thinking. That is what appears to have happened with the Justice Department's twisting of the definition of torture. Language is a powerful weapon, but like friendly fire, it can lead to self-inflicted wounds. As the French playwright Jean Anouilh warned, "Propaganda is a soft weapon: Hold it in your hands too long, and it will move about like a snake, and strike the other way."

2005-01-18

Rice und die Vorposten der Tyrannei

--- Uff, Deutschland kann aufatmen: Es ist nicht auf der Liste der Tyrannenstaaten verzeichnet, die Bushs neue rechte Hand Condi jetzt herumgereicht hat: Die designierte US-Außenministerin Condoleezza Rice hat die sechs Staaten Birma, Kuba, Iran, Nordkorea, Simbabwe und Weißrussland als "Vorposten der Tyrannei" in der Welt gebrandmarkt. Die Vereinigten Staaten solidarisierten sich mit den unterdrückten Menschen in diesen Ländern, betonte sie am Dienstag in einem Statement aus Anlass ihrer Anhörung durch den Senat in Washington. Gleichzeitig kündigte die Beziehungen zu den Verbündeten stärken, die wegen des Irak-Kriegs gelitten haben. Also Deutschland vorerst runter von der "Achse des Bösen", mit der uns Rumsfeld vor 2 Jahren noch in Verbindung brachte. Das mit der Tyrannei hört sich ansonsten aber schon recht stark an, da sind die deutschen Unworte des Jahres ("Humankapital", "Begrüßungszentrum") ja nix dagegen.

Wir sind jedenfalls gespannt, was Condi noch so alles von sich gibt in der Zukunft. Ihr Vorgänger Colin Powell fand ja laut Financial Times zumindest in letzter Zeit im Bezug auf das Irak-Desaster klare Worte: According to Chas Freeman, former US ambassador to Saudi Arabia and head of the independent Middle East Policy Council, Mr Bush recently asked Mr Powell for his view on the progress of the war. "We're losing," Mr Powell was quoted as saying. Mr Freeman said Mr Bush then asked the secretary of state to leave. ... Analysts are concerned that with the departure of Mr Powell and his replacement by Condoleezza Rice, the president's loyal national security adviser, the White House will be further shielded from dissent. Mehr zu diesen anhaltenden Realitätsverzerrungen im Weißen Haus in Telepolis.

Planetopia vom Bloggerhype überfordert

--- Es kam, wie es kommen musste: nach dem ganzen Bloggerhype der letzten Wochen hat sich nun also auch das "Wissenschaftsmagazin" Planetopia von Sat.1 mit dem Thema Weblogs auseinandergesetzt (Video u.a. hier) und dabei den Schwerpunkt auf "Internettagebücher als neue Informationsquelle". Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, die Technikmagazine anderer TV-Magazine wie "Neues" von 3sat machen dies schon seit langem. Die Planetopianer kamen jetzt aber anscheinend hauptsächlich wegen der Jamba-Geschichte von Johnny auf das Thema und gingen -- von einem alten Medium her kommend -- recht skeptisch an die neue Informationsströme im Web heran, welche die Redaktion wohl auch einfach ein wenig beängstigte und rein quantitativ überforderte. So merken die Beitragsmacher denn auch rasch an: Auch selbstverfasste Nachrichten werden in Umlauf gebracht. Frech, wer dürfte es wagen, das "traditionelle Medienmonopol" auf die Nachrichtenverbreitung zu knacken? Wir sind hier also mal wieder bei unserem Lieblingsthema Weblogs und Mainstream-Medien, wobei sich nach meiner Ansicht beide Seiten ja letztlich wunderbar ergänzen (mehr zum dummen "Kampf" zwischen Bloggern und Journalisten bei Mario Sixtus). Planetopia befragte nun Prof. Christoph Neuberger, Kommunikationswissenschaftler: „Bei den Weblogs ist das Prinzip im Grunde genommen genau umgekehrt im Vergleich zu den traditionellen Massenmedien. Die haben Redaktionen, die zunächst prüfen, bevor etwas veröffentlicht wird. Bei Weblogs wird erst veröffentlicht und dann geprüft, wobei an dieser Prüfuzng (sic) die anderen online-Nutzer beteiligt sind, vor allem natürlich die Blogger, die in der Blogossphäre eng miteinander vernetzt sind.“

So sehr ich den Kollegen Neuberger und den Großteil seiner Arbeit schätze: aber das stimmt so in der Pauschalität natürlich nicht ganz: Das meiste, was in Blogs publiziert wird, ging doch zunächst durch die angeblich auch so gute Prüfung der Redaktionen der Massenmedien. Wo sollten die armen Blogger denn sonst ihre News herbekommen? Natürlich hat der ein oder andere Weblogger auch Insider-Informationen. Aber wieso sollte er die nicht auch öffentlich machen dürfen, solange er über eigene Erfahrungen berichtet? In Weblogs wird das massenmedial Berichtete in der Regel aber doch "nur" kommentiert oder in eigene Zusammenhänge gestellt. Das mit der kollektiven Prüfung von Nachrichten in Weblogs ist so doch eine tolle Sache, nicht zuletzt kam es deswegen ja auch zu den "Watchblogs". Sind sich doch alle einig, dass sich in die massenmediale Berichterstattung auch ab und an Fehler einschleichen. Wenn diese dann ein Blogger mal übernimmt, wie es Planetopia dem Schockwellenreiter bei einem schon recht "altertümlichen" Fall vorwirft, ist dann etwa der Blogger daran schuld? In der Regel wird er ja zudem sehr schnell auf den Fehler aufmerksam gemacht und bringt ein Update oder eine Ergänzung -- das ist ja das Schöne an der vernetzten Blogosphäre. Dass die Blogger aus unergründlichen Netzquellen irgendwelche Geschichten zusammentippen und verlinken und diese sich ungeprüft wie eine Lawine ausbreiten und gar von den Massenmedien "zwangsweise" übernommen werden, ist also wohl nicht so die große Gefahr, wie von Neuberger befürchtet.

Andererseits ist aber auch die Aufregung bei den ebenfalls geschätzten Bloggerkollegen (Planetopia lügt, titelt der Schockwellenreiter und legt heute noch mal nach mit einer Verdammis schier der dreiviertel Journalistenzunft, Johnny hat eine "Zusammenfassung" der Lügenvorwürfe erstellt) nicht so ganz nachzuvollziehen. Mich hat die Sat.1-Redaktion auch angefragt wegen eines potenziellen Interviews für die Sendung. Aber als ich ihnen meine These von der weitgehenden Selbstkorrekturfunktion in den seriösen und auf ihren Ruf bedachten Blogs dargelegt habe, passte das wohl so gar nicht in das Konzept, das am Telefon ja schon recht deutlich wurde. Im Medienrauschen finden die Kollegen denn auch, dass Johnny und der wellenreitende Jörg Sat.1 ja in erster Linie gar kein Interview hätten geben müssen. Oder im Gespräch halt noch deutlicher sagen müssen, wieso die Blogosphäre gut ist und was ihre Stärken und ihre Unterschiede im Vergleich zu den traditionellen Medien sind. Aber sowas passt vermutlich dann doch nicht in einen Privatsender.

PS: Mehr Bloggerhype auch schon wieder in der FAZ. Und ach ja, eigentlich sollte man eher über neue, gerade noch glimpflich abgelaufene, nichtsdestoweniger haarsträubende Entführungen im Irak und Bushs weitere Drohkulisse gegen Iran ("Alle Optionen sind offen") berichten, was hiermit zumindest noch am Rande getan werden soll.

Update: Hübsch der dezente Warnhinweis bei wirres.net (Kommentar zu Planetopia dort natürlich auch), den ich gleich mal oben eingebaut habe.

Update 2: Der Senfstau (Name kommt irgendwie bekannt vor ;-) möchte sich derlei Themen künftig anscheinend gern verstärkt annehmen.

2005-01-17

"Hotel-Journalismus" aus dem Irak

--- Aus dem Irak ist eine halbwegs normale Berichterstattung jenseits des "eingebetten" Journalismus nicht mehr möglich, schreibt Robert Fisk (Original im britischen Independent, seinem Stammblatt, dort aber nur kostenpflichtig). Die ständige Angst vor Entführungen oder Anschlägen führe zu einer reinen "Reportage" aus den halbwegs sicheren vier Wänden aus. "Hotel journalism" is the only way to describe it. More and more, Western reporters in Baghdad are reporting from their hotels rather than the streets of Iraq's towns and cities. Some are accompanied everywhere by hired and heavily armed Western mercenaries. A few live in local offices, from which their editors refuse them permission to leave. Most use Iraqi "stringers" - part-time correspondents who risk their lives to conduct interviews for American or British journalists - and none can contemplate a journey outside the capital without days of preparation, unless they "embed" themselves with US or British forces. Rarely, if ever, has a war been covered by reporters in so distant and restricted a way. Several Western journalists simply do not leave their rooms while on station in Baghdad. So grave are the threats to Western journalists that some television stations are talking of withdrawing their reporters and crews altogether. Amid an insurgency where Westerners - and many Arabs as well as other foreigners - are kidnapped and killed, reporting on this war is becoming close to impossible. ... "The US military couldn't be happier with this situation," a longtime American correspondent in Baghdad says. "They know that if they bomb a house of innocent people, they can claim it was a 'terrorist' base and get away with it. They don't want us roaming around Iraq, and so the 'terrorist' threat is great news for them. They can claim they've shot 600 or 1 000 insurgents and we have no way of checking because we can't go to the cemetery or visit the hospitals - because we don't want to get kidnapped and have our throats cut." Von einer "freien Presse" kann da natürlich keine Rede sein. Der bloggende Reporter Christopher Allbritton ist auf jeden Fall auch noch vor Ort in Bagdad. Über die Rechercheumstände erfährt man aber wenig, da er das Bloggen nur noch sehr sporadisch betreibt. (Besten Dank an Daniel F. für den Tipp).

Bush und Rumsfeld bereiten Iran-Angriff vor

--- Der investigative US-Reporter Seymour Hersh, der zuletzt mit seinen Enthüllungen rund um Abu Ghraib Aufmerksamkeit erregte, hat mal wieder zugeschlagen. In seinem Stammmagazin New Yorker verrät er, dass die Bush-Regierung mit ihrem Oberfalken Rumsfeld bereits konkrete Angriffsziele im Iran ausspäht, während die Europäer noch auf Verhandlungen setzen: Despite the deteriorating security situation in Iraq, the Bush Administration has not reconsidered its basic long-range policy goal in the Middle East: the establishment of democracy throughout the region. Bush’s reëlection is regarded within the Administration as evidence of America’s support for his decision to go to war. It has reaffirmed the position of the neoconservatives in the Pentagon’s civilian leadership who advocated the invasion, including Paul Wolfowitz, the Deputy Secretary of Defense, and Douglas Feith, the Under-secretary for Policy. According to a former high-level intelligence official, Secretary of Defense Donald Rumsfeld met with the Joint Chiefs of Staff shortly after the election and told them, in essence, that the naysayers had been heard and the American people did not accept their message. Rumsfeld added that America was committed to staying in Iraq and that there would be no second-guessing. “This is a war against terrorism, and Iraq is just one campaign. The Bush Administration is looking at this as a huge war zone,” the former high-level intelligence official told me. “Next, we’re going to have the Iranian campaign. We’ve declared war and the bad guys, wherever they are, are the enemy. This is the last hurrah—we’ve got four years, and want to come out of this saying we won the war on terrorism.” ... The Administration has been conducting secret reconnaissance missions inside Iran a least since last summer. Much of the focus is o the accumulation of intelligence and targetin information on Iranian nuclear, chemical, an missile sites, both declared and suspected. Th goal is to identify and isolate three dozen, an perhaps more, such targets that could b destroyed by precision strikes and short-ter commando raids. “The civilians in th Pentagon want to go into Iran and destroy a much of the military infrastructure as possible, the government consultant with close ties to th Pentagon told me.

Das Desaster im Irak hin oder her -- die Mullahs sollen dran glauben, auch wenn die Beziehungen mit der EU dann endgültig in die Brüche gehen würden. Aber zunächst will Bush ja erst mal mit höchstem Sicherheitsaufwand und trotzdem gleichzeitig unbeschwert seine Wiederwahl feiern, was die Nachrichten über einen bevorstehenden Iran-Angriff in dieser Woche erst einmal überlagern wird. Und überhaupt, ein Bericht "voller Ungenauigkeiten", tönt es aus dem Weißen Haus. Eine schöne Bestätigung der Recherchen, denn natürlich weiß man dort noch besser über die eigenen Pläne Bescheid. Aber die Richtung des Wahnsinnsunternehmens scheint zu stimmen.

2005-01-16

Bezahlte Blogger, Politikberater und Medienaktivisten

--- In der amerikanischen Blogosphäre sorgt ein Fall für Furore, in dem mal wieder einige beliebte Debattenstränge rund um Blogger und Medienethik zusammenlaufen. Auslöser war ein Blogeintrag von Zephyr Teachout (die Frau heißt tatsächlich so) alias "Zonkette", den die Gelegenheitsbloggerin nach eigenen Angaben in Vorbereitung der Harvard-Konferenz Blogging, Journalisms & Credibility (findet Ende der Woche statt) geschrieben hat. Die frühere Co-Managerin des Internetwahlkampfs von Howard Dean verriet dabei einige bisher nicht allgemein bekannte Details der Netzkampagne: On Dean’s campaign, we paid Markos and Jerome Armstrong as consultants, largely in order to ensure that they said positive things about Dean. We paid them over twice as much as we paid two staffers of similar backgrounds, and they had several other clients. While they ended up also providing useful advice, the initial reason for our outreach was explicitly to buy their airtime. To be very clear, they never committed to supporting Dean for the payment -- but it was very clearly, internally, our goal. Der InstaPundit und andere rechte Blogger stürzten sich als erstes auf die Nachricht, denn Markos Moulitsas Zuniga und Armstrong gelten mit ihren Gruppenblogs DailyKos bzw. MyDD als die wichtigsten linken Blogger in den USA. Und dass sich diese anscheinend vom Dean-Team bezahlen ließen (prinzipiell für Technikberatung, aber gewünscht war eher inhaltliche Unterstützung), ist zumindest ein Skandälchen. Zumal gerade Nachrichten die Runde machten, dass der konservative TV-und-sonstwas-Kommentator Armstrong Williams satte 240.000 US-Dollar von der Bush-Regierung eingesackt hatte, um ein umstrittenes Ausbildungsgesetz, den hübsch betitelten No Child Left Behind Act, im Fernsehen undercover zu promoten.

Die Geschichte über die "Schmiergeldaffäre" ("Payola") erhielt richtig Zunder, als das Wall Street Journal Teachouts Posting aufgriff und ein wenig aufbauschte (vermutlich auch, um vom Williams-Skandal abzulenken). Armstrong und Zuniga mussten sich natürlich rechtfertigen, was im Fall des ersteren noch recht gut gelang: er hörte während seiner Arbeit für die Dean-Kampagne komplett mit dem Bloggen auf und konnte seine Hände so in Unschuld waschen. Bei DailyKos ist die Sache dagegen etwas heikler: Moulitsas postete zwar damals eine ausführliche "Full Disclosure"-Note, doch weder über die Höhe des Beratersalärs (3000 Dollar im Monat), noch über seine genaue Tätigkeit gab er Auskunft und verwies auf eine Verschwiegenheitserklärung: I will not discuss my role within the Dean campaign, other than to say it's technical, not message or strategy. I will also not discuss any of my other clients, including their identities (I have non-disclose agreements to which I must adhere). Zudem verwies Moulitsas inzwischen mehrfach auf den Unterschied zum Williams-Fall, da dieser ja auch noch Steuergelder bekommen hätte. Seine Mitblogger haben dazu auch eine kleine Tabelle gebastelt und andere "Prominente" aus der Dean-Kampagne geben ihm inzwischen Rückendeckung. Trotzdem bleibt ein unfeiner Nachgeschmack, wie ihn etwa ein Slate-Reporter zur Sprache bringt.

Die Story beweist zum einen erneut, wie sehr sich die Aufmerksamkeit auch der traditionellen Medien inzwischen auf die Blogosphäre und ihr Treiben richtet. Zu diskutieren ist in diesem Zusammenhang auch mal wieder die Selbstbeschreibung der Mehrzahl der Blogger gegenüber dem Arbeitsverständnis der Massenmedien (obwohl beide bekanntlich teilweise aufeinander zulaufen). Denn es dürfte inzwischen wohl klar sein, dass Blogger nicht unbedingt dem Mythos der Objektivität hinterrennende Qualitätsjournalisten sind, sondern "höchstens" Kommentatoren und Editorial-Schreiber, wenn man schon den Vergleich mit der Presse beibehalten möchte. Moulitsas selbst hat sich als "Aktivist" beschrieben, nicht als Journalist. Und über Kampagnen am Laufen haltende Blogger hat der Spindoktor auch bereits berichtet. Interessant dagegen, dass just der InstaPundit jetzt so sehr seine "Neutralität" herausstellt. Dabei fährt er in der Regel auch nichts weiter als Kampagnen zur Unterstützung der Bush-Regierung, wie ich in Krieg und Internet im direkten Vergleich mit DailyKos gezeigt habe. Das hat sich zwar inzwischen ein wenig gemildert, vom Tenor bleibt der InstaPundit aber politisch natürlich trotzdem ein konservativer Blogger. Aber dafür hat er ja auch seine Kritiker auf der linken Seite, sodass insgesamt die Selbstkorrektur in der Blogosphäre doch recht gut -- und vor allem besser als in den Mainstream-Medien -- funktioniert.

Update: Mehr zum Thema inzwischen auch in Salon.

2005-01-15

Politiker-Nebeneinkünfte und kein Ende

--- Nachdem die Volks(wagen)vertreter-Affäre mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Jann-Peter Janssen ein erstes Opfer gefunden hat, geht Siemens jetzt in die Offensive und verrät etwas über Politiker auf seiner Gehaltsliste: Die Firma entlohnt nach den Worten des Konzernchefs Heinrich von Pierer mehrere Bürgermeister, Landtagsabgeordnete und einen Bundespolitiker. ... Von den zwölf Berufspolitikern, die weiterhin ein Siemens-Gehalt bekommen, seien sieben Bürgermeister, vier säßen im Landtag, einer im Bundestag. "Wir wollen doch, dass mehr wirtschaftlicher Sachverstand in die Politik kommt", sagte der Siemens-Chef weiter und betonte: "Deshalb fördern wir als Unternehmen, dass gute Mitarbeiter in die Politik wechseln." Namen nannte von Pierer nicht. Eine köstliche Umschreibung für die Verbindung von Direkt-Lobbying und Politikergeschmiere. SPD und Grüne wollen mit den intransparenten Zusatzverdiensten aus den Konzernkassen jetzt vorgehen: Die Fraktionsspitzen von SPD und Grüne vereinbarten am Samstag, die Verhaltensregeln für die Parlamentarier so schnell wie möglich zu ändern. "Wir dürfen das nicht auf die lange Bank schieben", sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bei dem Treffen in Wörlitz bei Dessau. Es gebe aber noch "keine Verabredung, wie die Sanktionen aussehen sollen". Ihre Amtskollegin Krista Sager sprach von einem Defizit, da bislang Strafen für Verstöße gegen die Verhaltensregeln fehlten. SPD und Grüne hätten sich aber noch nicht auf Strafen geeinigt. Der "Spiegel" hatte zuvor unter Berufung auf die Koalitionsspitze berichtet, dass ertappte Abgeordnete die nicht ordnungsgemäß erhaltenen Zahlungen in doppelter Höhe an die Bundestagsverwaltung abführen sollen. Auf einen interessanten Fall aus dem EU-Parlament in Verbindung mit der Urheberrechtsgesetzgebung verweist ansonsten Netzpolitik.org.

Update: Ein Glück, dass Werner Müller zumindest nicht mehr von seinem Ministerposten zurücktreten kann. Zumindest eine große, große Spende ist aber auch bei ihm fällig!! Das schlägt nun wirklich dem Fass den Boden aus.

Abu-Ghraib-Folterer Graner schuldig gesprochen

--- Die US-Medien und die deutschen Online-Ticker sind heute voll von der Verurteilung des inzwischen degradierten Abu-Ghraib-Folterkorporals Charles A. Graner. Unterschiedlich fallen die Urteile aus, ob der 36-Jährige auf Stimmen von oben gehört hat oder selbst einen Trend in dem Militärgefängnis ausgelöst hat. Aus der Washington Post: The defense maintained that Graner, who was a corporal and has since been demoted, and the other low-ranking enlisted soldiers indicted in the case were scapegoats set up by the Army to deflect blame from senior offices in charge of the prison. No officer at Abu Ghraib, and no one higher in the chain of command, has faced criminal charges to date. That discrepancy became the core defense argument at the court-martial. Defense attorney Guy Womack reiterated the point in closing arguments Friday. "The government is asking a corporal to take the hit for them," Womack said. "The chain of command says, 'We didn't know anything about this stuff,' " he continued. "You know that is a lie." Four others stationed at Abu Ghraib have pleaded guilty to charges resulting from the abuse; three were sentenced to prison terms, and one was reduced in rank. Two more face trials in the next two months. Daneben schildert die Post noch mal recht detailliert, welche (sexuellen) Spiele Graner und seine anderen Folterknechte mit den Gefangenen durchexerziert haben.

Die New York Times zeigt sich vor allem erleichtert, dass mit der Verurteilung und den drohenden 15 Jahren Haft ein wenig Gerechtigkeit wiederhergestellt ist: The prosecutor, Capt. Chris Graveline, urged jurors for a guilty verdict in his closing arguments, saying: "It will speak volumes to the accused. It will speak volumes to our Army. It will speak volumes to our country. It will speak volumes to the world." In der LA Times dazu noch die Stimme eines Misshandelten: Prosecutors played a videotaped deposition from Iraq by Hussein Mutar, a suspected car thief who was one of the detainees stacked naked in a pyramid and forced to perform mock sexual acts. "The Americans came to free the Iraqi people from Saddam," Mutar said through an interpreter. "I didn't expect this was going to happen. They took Saddam out of power and it appeared they were good. But this incident changed the entire picture of what Americans look like." Eines der dunkelsten Kapitel der US-Militärgeschichte lebt damit noch einmal auf. Bleibt zu hoffen, dass es damit nicht gleich ganz beendet ist und Graner als Bauernopfer allein fällt. Siehe auch das Posting zum Thema bei DailyKos.

Update: Graner erhält zehn Jahre Haft und fliegt aus der Armee.

Update2: "The Graner verdict changes nothing", schreibt David.

Zeitungen öffnen ihre Redaktionen

--- Nachdem die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gezeigt hat, wie leicht der Eintritt in die redaktionellen Teile der Zeitungen und Magazine gelingt, folgt nun der mächtige ADAC. Der Deutschlandfunk berichtet heute, dass die Verlage verstärkt redaktionelle Arbeiten outsourcen, um Kosten zu sparen. "So gab es bei der Münchner Abendzeitung seit Jahrzehnten eine "Motorseite", doch die Redaktion wurde Anfang des Jahres geschlossen. An ihre Stelle drängte das so genannte Sprachrohr für Millionen Autofahrer, der Großlobbyist ADAC in das Blatt. Chefredakteur der ADAC Motorwelt ist Michael Ramstetter." Der will vom Verlust journalistischer Freiheit nichts wissen, wobei viele Motorteile ohnehin nicht dafür bekannt sind, unabhängig und kritisch zu berichten. Ramstetter: "Wenn ich in ein solches Konzept wie mit der Abendzeitung einsteige, dann hat sich der ADAC journalistisch zurückzunehmen, dann muss nicht deutlich sein, dass das alles ADAC ist, sondern da steht der saubere, seriöse Journalismus mit einer journalistischen Beratung im Vordergrund und dann ist das Agenturtätigkeit, also quasi Redaktionsagenturtätigkeit und nicht Werbeagenturtätigkeit." Fragt sich nur, wer dann die Verantwortung für den Inhalt übernimmt und vor allem, wer will da im Zweifel prüfen, woher die Informationen stammen?
Bravo Sport wird laut DLF-Beitrag bereits von einem Kölner Journalistenbüro erstellt, Nachrichtenagenturen wie DPA haben ebenfalls reagieren und bieten Beiträge für die sogenannten Serviceseiten an.
Der Trend dürfte fröhlich weitergehen: "
Nach einer Studie des Verbands deutscher Zeitschriftenverleger gaben 41 Prozent der kleinen Verlagen an, redaktionelle Tätigkeiten bereits an externe Dienstleister ausgegliedert zu haben. Bei den großen Verlagen, mit über 100 Millionen Euro Umsatz, waren es nur 13 Prozent. Und weitere 13 Prozent der Großverlage sehen heute im Outsourcing redaktioneller Arbeit eine zukünftige Alternative." Freie Journalisten dieser Welt: Das ist eure Chance!

2005-01-14

Bushs irakische Realitätsverzerrung

--- Der arme George: da wird doch glatt kurz vor seiner pompösen Inauguration die Suche nach den vermeintlichen Massenvernichtungswaffen im Irak von US-Geheimdienstexperten eingestellt, und nun muss er sich schon wieder irgendwie aus der Patsche helfen, denn zu rechtfertigen gibt es da ja einfach nichts mehr. Also mal wieder Erstaunen geheuchelt und die alte Platte (mit Sprung) aufgelegt: Saddam was dangerous. And . . . the world was safer without him in power. War sagt Bush immerhin, denn nach dieser vielleicht ein paar Tage einnehmenden Epoche in der Menschheitsgeschichte, ist der Irak längst wieder zur Brutstätte und zum "Magnet" für Terroristen geworden, wie die CIA konstatiert (aber auch dies keineswegs zum ersten Mal). Mehr zum Lügengespinst in Washington in Telepolis.

2005-01-13

Irak: keine Massenvernichtungswaffen, keine allgemeinen Wahlen

--- Die Washington Post hat gleich zwei interessante Irak-News zu vermelden. Zum einen hat die Iraq Survey Group (ISG), die mit dem Aufspüren der laut der Bush-Regierung von Saddam Hussein gegen den Rest der Welt bedrohlich in Stellung gebrachten Massenvernichtungswaffen beauftragt war, im Dezember heimlich still und leise ihre Arbeit ergebnislos eingestellt: Four months after Charles A. Duelfer, who led the weapons hunt in 2004, submitted an interim report to Congress that contradicted nearly every prewar assertion about Iraq made by top Bush administration officials, a senior intelligence official said the findings will stand as the ISG's final conclusions and will be published this spring. ... The ISG has interviewed every person it could find connected to programs that ended more than 10 years ago, and every suspected site within Iraq has been fully searched, or stripped bare by insurgents and thieves, according to several people involved in the weapons hunt. Das war also ein Schlag ins Wasser, mit dem sich die Amerikaner und der Rest der Welt nun aber weiterhin herumschlagen müssen. Doch auch im Spindoktor wurde zu dem Thema schon alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt.

Derweil gerät nun auch der Mythos von den freien und allgemeinen Wahlen im Irak, auf den Bush seine letzte Hoffnung bei der Befriedung des Landes setzt, ganz offiziell ins Hintertreffen: As violence continued, interim Prime Minister Ayad Allawi said the lack of security in some parts of the country could prevent voters from participating in elections scheduled for Jan. 30. "Certainly, there will be some pockets that will not be able to participate in the elections for these reasons, but we think that it will not be widespread," Allawi said at a news conference.

Mehr zu Allawis anscheinend nur angesichts der Bedrohlichkeit der Lage kurz unterbrochenem Herumgespinne in Telepolis: Eigentlich ist er ein Routinier der Schönfärberei, doch diesmal ließ der irakische Interims-Ministerpräsident etwas Wirklichkeit in seine luftigen Reden vom befreiten Land einfließen. Zum ersten Mal gab der Mann mit dem notorischen Hang zur fiktionalen Verschönerung der Realität zu, dass die Gewalt im Irak die Wahlen in einigen Teilen des Landes verhindere. ... Der Verdacht liegt nahe, dass weiterhin "Irakmethik" betrieben wird, das Spiel mit Zahlen, die der Selbstdarstellung der Amerikaner und einiger Mitglieder der derzeitigen irakischen Regierung, die beispielsweise kontinuierlich überhöhte Zahlen von den Rückkehrern nach Falludscha nach außen geben, gut zupass kommen. Berichterstattung aus dem Irak wird sowohl von der amerikanischen Regierung wie von Teilen der irakischen vorwiegend als Public Relations-Angelegenheit verstanden; die halbe, gut verkäufliche Wahrheit ist gefragt, eine Öffentlichkeit vorausgesetzt, die nur beruhigt werden will. Die politischen Mitarbeiter des irakischen Ministerpräsidenten gehen mit dieser arroganten, herrschaftlichen Konzeption von Öffentlichkeit und Berichterstattung anscheinend sehr weit. Wie die Financial Times berichtete, lud Allawis Wahlkampfmannschaft arabische Journalisten nach einer Pressekonferenz nach "oben", um ihnen 100 Dollar in einem Umschlag zu überreichen. Kommentieren lässt sich so etwas eigentlich kaum noch.

2005-01-12

Weissrussland: reif für die nächste Revolution?

--- Nach dem Regimesturz in der Ukraine, den der unterlegene Janukowitsch aber noch nicht akzeptieren will, richtet sich nun der Blick verstärkt auf das benachbarte Weissrussland: der großmäulige weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko demonstriert großspurig seinen Herrschaftsanspruch, obwohl er in unmittelbarer Nähe zu den ukrainischen Ereignissen besonders gefährdet scheint. Doch Lukaschenko gibt sich unbeirrt. In seinem Reich werde es "keine Rosen-, keine orangefarbene, keine Bananenrevolution geben", machte er sich am Wochenende während eines Weihnachtsgottesdienstes in Minsk stark. Er als Präsident werde weiterhin für Frieden und Stabilität in Weißrußland sorgen, versprach er. Das Limit des Landes an Kriegen und Revolutionen sei ausgeschöpft. "Ich bitte daran zu denken und zu diesem Thema nicht mehr zurückzukehren", befahl "Batjuschka", das Väterchen, wie er sich gerne nennen läßt, den Teilnehmern des Gottesdienstes. ... daß der Westen überall die Hände im Spiel hat, daran zweifelt in der weißrussischen Führung niemand, schon aus Staatsraison. So will Nikolai Losowik, Chef der weißrussischen zentralen Wahlkommission, erkannt haben, daß der Gesetzesnihilismus während der Präsidentenwahl im Nachbarland "mit dem Segen, möglicherweise sogar auf Initiative von Beobachtern internationaler Organisationen" um sich gegriffen habe ... Oppositionelle, die in der Stadt mit orangefarbenen Bändern ihre Solidarität mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Juschtschenko ausdrücken, werden schon mal vom Fleck weg verhaftet, Teilnehmer einer Bürgerinitiative in einem Hotel festgenommen. Aber der Widerstand bleibt gering. Weißrußlands Opposition, die sich gerne ein Beispiel nehmen möchte am revolutionären Elan der Ukrainer, ist schwach. Da wird also wohl erst mal wenig passieren.

Dagegen muss sich Russlands Putin mal wieder mit Vorwürfen beschäftigen: Nach einer lähmenden zehntägigen Feiertagsserie zum Jahresbeginn hat das öffentliche Leben in Rußland wieder eingesetzt. Mit überraschend herben Aktionen, die Präsident Wladimir Putin unter Druck setzen. Landesweit gingen die Rentner auf die Straße und protestierten gegen das, was die russische Führung die "Monetarisierung der Vergünstigungen" nennt: Bisher kostenlos verteilte Wohltaten des Staates müssen vom 1. Januar an bezahlt werden, sollen aber durch finanzielle Leistungen ausgeglichen werden. ... "Die Demokratie weicht einer brutalen Diktatur", befand Ex-Schachweltmeister Gari Kasparow dieser Tage auf einer Presseveranstaltung in London. Das geschehe mit offener oder stillschweigender Unterstützung des Westens für Putin, den Kasparow - weit über das Ziel hinausschießend - als "Faschisten" apostrophierte. Kasparow gehört zu den Mitbegründern des Komitees 2008, das eine Verfassungsänderung verhindern will, mit der der Kremlchef ein drittes Mal kandidieren könnte, und das nach einem geeigneten Nachfolger Ausschau hält.

2005-01-11

Wandelndes Fallbeil: Bushs neuer Heimatschutzminister

--- Bush hat nach dem Flop mit dem Superbullen Kerik nun den Ex-Richter und ehemaligen stellvertretenden US-Justizminister Michael Chertoff als obersten Heimatschützer auserkoren. Linke Bürgerrechtsgruppierungen wie die ACLU sind mal wieder äußerst besorgt: we are troubled that his public record suggests he sees the Bill of Rights as an obstacle to national security, rather than a guidebook for how to do security properly. He has been a vocal champion of the Bush administration’s pervasive belief that the executive branch should be free of many of the checks and balances that keep it from abusing its immense power over our lives and liberty. His nomination as head of the Department of Homeland Security - a new and untested agency with great influence on civil liberties - means that Chertoff should be questioned aggressively to ensure his fitness for the position, and the strength of his dedication to the Bill of Rights. This is made more imperative by the fact that, as with Attorney General-nominee Alberto Gonzales, some of Chertoff’s post-9/11 policies have been repudiated by others in the government. Namely, two reports by the Justice Department’s inspector general, released in June and December 2003, castigated Chertoff’s use of rarely enforced and minor immigration violations to hold non-citizens shortly after 9/11 for as long as possible, without bail or access to a lawyer. None of these non-citizens was found to have any connection to the 9/11 attacks. Chertoff was also an architect of the USA Patriot Act, which has come under increasing fire from conservatives and progressives alike since its passage in 2001. Die Befürwortung der Schleppnetzfahndung wird Chertoff vorgeworfen, was einem künftigen Minister nicht sonderlich gut zu Gesicht steht. Der stramme Republikaner wurde auch schon als "Top-Gremlin" des Ex-Justizministers Ashcroft bezeichnet.

Die Reaktionen von rechten Bloggern wie Lone Star Times aus den weiten Texas' sind dagegen genauso bezeichnend: Knowing next to nothing about the man, my initial reaction is positive. First of all, he just looks like a real bastard. That's good. I want a bastard in charge of Homeland Security. Das ist unmissverständlich. Mal sehen, ob der US-Senat das genauso haben will oder ob Bush erneut nachlegen muss. Mehr zum gestrengen Chertoff u.a. bei Spiegel Online: Selbstverständlich ist Chertoff ein überzeugter Befürworter der Todesstrafe. Freundlich im Ton, eisenhart in der Sache. Ein lächelndes Fallbeil. Ein Typ ganz nach dem Geschmack von George W. Bush also. Chertoff sei "ein praktischer Organisator, kundiger Manager und brillianter Denker", sagt der US-Präsident über den Mann, der sein neuer Heimatschutzminister werden soll. Vor allem aber ist Chertoff, wie alle Mitglieder des nunmehr kompletten, neuen Kabinetts, ein verlässlicher Gefolgsmann Bushs.

Heute auch noch lesenswert: Der US-Sender CBS veröffentlicht eine Untersuchung des von Bloggern aufgedeckten "Rathergate"-Skandals rund um den Nachrichtenfrontmann Dan Rather (die ganze Analyse gibt es hier als PDF). Und Telepolis wirft ein Auge auf die Hassblogger.

2005-01-10

Newsweek: USA plant Einsatz von Terror vs. Terror im Irak

--- Die Bush-Regierung und insbesondere das Pentagon werden anscheinend immer verzweifelter, was den Irak-Krieg und die Eskalation des Terrors im Zweistromland angeht. Denn laut Newsweek plant man nun, den Terror mit Gegenterror zu bekämpfen. Alles natürlich in geheimer Mission und ohne öffentlichen Segen: The Pentagon’s latest approach is being called "the Salvador option"—and the fact that it is being discussed at all is a measure of just how worried Donald Rumsfeld really is. "What everyone agrees is that we can’t just go on as we are," one senior military officer told NEWSWEEK. "We have to find a way to take the offensive against the insurgents. Right now, we are playing defense. And we are losing." ... Now, NEWSWEEK has learned, the Pentagon is intensively debating an option that dates back to a still-secret strategy in the Reagan administration’s battle against the leftist guerrilla insurgency in El Salvador in the early 1980s. Then, faced with a losing war against Salvadoran rebels, the U.S. government funded or supported "nationalist" forces that allegedly included so-called death squads directed to hunt down and kill rebel leaders and sympathizers. ... Following that model, one Pentagon proposal would send Special Forces teams to advise, support and possibly train Iraqi squads, most likely hand-picked Kurdish Peshmerga fighters and Shiite militiamen, to target Sunni insurgents and their sympathizers, even across the border into Syria, according to military insiders familiar with the discussions. ... Also being debated is which agency within the U.S. government—the Defense department or CIA—would take responsibility for such an operation. Rumsfeld’s Pentagon has aggressively sought to build up its own intelligence-gathering and clandestine capability with an operation run by Defense Undersecretary Stephen Cambone. But since the Abu Ghraib interrogations scandal, some military officials are ultra-wary of any operations that could run afoul of the ethics codified in the Uniform Code of Military Justice. Da war der Kalte Krieg ja fast schon Zuckerschlecken gegen die heiße Terrorschlacht, die da droht. Mehr zu den Todesschwadronen in Telepolis.

Die Zukunft der New York Times und die Zukunft der Zeitung

--- BusinessWeek wirft einen ausführlichen und spannenden Blick auf die künftigen Herausforderungen für die New York Times als Hort des Qualitätsjournalismus -- und damit auf die anspruchsvolle Printbranche insgesamt: The growing polarization of the body politic along ideological lines also is hurting the Times and its big-media brethren. One of the few things on which Bush and Kerry supporters agreed during the Presidential campaign was that the press was unfair in its coverage of their candidate. Keller says the Times was deluged with "ferocious letters berating us for either being stooges of the Bush Administration or agents of Michael Moore." Complaints from the Right were far more numerous, even before the newspaper painted a bull's-eye on itself in running a column by public editor Daniel Okrent headlined "Is The New York Times a Liberal Newspaper?" Okrent's short answer: "Of course it is." What a growing, or at least increasingly strident, segment of the population seems to want is not journalism untainted by the personal views of journalists but coverage that affirms their partisan beliefs -- in the way that many Fox News (FOX ) shows cater to a conservative constituency. For years, major news organizations have been accused of falling short of the ideal of impartiality that they espouse. Now, the very notion of impartiality is under assault, blurring the line between journalism and propaganda. For its part, the Bush White House has succeeded to a degree in marginalizing the national or "elite" press by walling off public access to much of the workings of the government and by treating the Fourth Estate as merely another special interest group that can be safely ignored when it isn't being exploited. The Bushies particularly dislike the Times, which, in their view, epitomizes the Eastern liberal Establishment. ... The Times also is under attack from another branch of the federal government -- the judiciary. The paper figures centrally in most of a half-dozen pending court cases that collectively pose a dire threat to the traditional journalistic practice of assuring confidentiality to whistle-blowers and other informants. ...

The New York Times, like all print publications, faces a quandary. A majority of the paper's readership now views the paper online, but the company still derives 90% of its revenues from newspapering. "The business model that seems to justify the expense of producing quality journalism is the one that isn't growing, and the one that is growing -- the Internet -- isn't producing enough revenue to produce journalism of the same quality," says John Battelle, a co-founder of Wired and other magazines and Web sites. Today, Sulzberger faces an even bigger challenge than when he took charge of the Times in the mid-1990s. Can he find a way to rekindle growth while preserving the primacy of the Times's journalism? The answer will go a long way toward determining not only the fate of America's most important newspaper but also whether traditional, reporting-intensive journalism has a central place in the Digital Age.