2005-01-09

Spendentheater: Nächstenliebe aus Eigennutz

--- Die Welt am Sonntag wirft heute einen erweiterten Blick hinter das Spendentheater rund um die Jahrhundertflut im indischen Ozean: Diese Bilder der Begeisterung wünschen sich die USA seit ihrem Einmarsch in Bagdad vor beinahe zwei Jahren: Tausende Muslime strecken ihre Hände dankbar den Reissäcken und Wasserkanistern entgegen, die US-Soldaten aus Hubschraubern entladen. Jetzt kommen diese imageträchtigen Motive vom Nordzipfel der indonesischen Insel Sumatra. Die von dem Seebeben am zweiten Weihnachtstag in einem apokalyptischen Ausmaß verwüstete Landschaft gibt die Kulisse für eine der größten Sympathieoffensiven, die das US-Militär seit der Berlin-Blockade mit seinen Rosinenbombern unternommen hat. 100 000 Menschen wurden in der vergangenen Woche zeitweilig aus der Luft versorgt - der größte Einsatz des US-Militärs in Asien seit dem Vietnamkrieg. "Amerikanische Werte am Werk", beschrieb ein stolzer Nochaußenminister Colin Powell diese logistische Meisterleistung bei seinem Besuch vor Ort. Während sich die USA global karitativ geben und so verhärtete Fronten gegenüber der muslimischen Welt aufbrechen, gingen am Mittwoch vergangener Woche die Deutschen in die Offensive. Kanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer kündigten an, die Hilfe Berlins für die Krisenregion auf 500 Millionen Euro aufzustocken. Damit setzte sich Deutschland kurzfristig an die Spitze der internationalen Gebergemeinschaft, bis die Australier am gleichen Tag nachlegten. ... Die USA, die Deutschen, die EU und die UNO - die größte humanitäre Aktion aller Zeiten, die Spendenrallye über alle Kontinente hinweg, sie ist auch ein Spiel um Macht und Einfluß in der wichtigen Region Südasien und abseits dieser Bühne. Die politische Konkurrenz spornt die Hilfe an, doch der inzwischen mancherorts schon etwas protzig zur Schau getragene Wettstreit um einen Platz im Medaillenspiegel der Barmherzigkeit hat eine realpolitische Komponente, die oft verschwiegen wird. Es geht um Geltung in einer Region, in der sich die USA, Japan und China drängeln, um großes Format statt kleinem Karo auf der Weltbühne und auch darum, in der Heimat als reaktionsstark und krisenfest zu punkten. Angesichts dieses Motivbündels jenseits reinen Gutmenschentums befürchten Entwicklungshelfer, daß bei weitem nicht alle Zusagen eingehalten werden. Singapurs Ministerpräsident Lee Hsien Loong warnt, daß dem "kollektiven Kurzzeitgedächtnis" schnell entfallen könnte, daß die Region vor bis zu zehnjähriger Aufbauarbeit stehe.