2005-02-27

Fischer kommt langsam zur Sache

--- Das dauert aber wirklich, bis Joschka Fischer mal ein bisschen Klartext in der Visa-Affäre spricht, die ja nun schon einige Wochen am Kochen ist. Man fragt sich wirklich, was die Politiker für Berater haben, dass sie mit der Wahrheit bzw. den letztlich doch immer etwas schal klingenden Schuldeingeständnissen nur so schleppend und gequält herausrücken. Von Vorwärtsverteidigung anscheinend noch nie was gehört. Aber die Lage ist komplex und nur die Schlagzeilen zählen. Am lustigsten aber die Reaktion der Basis: "Seht ihr", sagt einer der Delegierten nach der Rede, "unsere Leute sitzen solche Probleme nicht aus. Die stehen zu ihren Fehlern." Der bärtige Mann ist sichtlich zufrieden mit dem Auftritt seines grünen Außenministers auf dem Landesparteitag in Köln. Wie könnte es auch anders sein: "Ihr müsst euch nicht entschuldigen, schon gar nicht für meine Fehler", hatte Joschka Fischer den NRW-Grünen zugerufen. "Zieht Euch die Vorwürfe der Opposition nicht an, ihr braucht euch für die Menschenrechtspolitik und Weltoffenheit der Grünen nicht zu verstecken." Das war Honig für die Wahlkämpfer zwischen Rhein und Ruhr. In knapp drei Monaten haben sie eine Landtagswahl zu überstehen, und nach dem schlechten Abschneiden von Rotgrün in Schleswig-Holstein sind die Siegesaussichten gedämpft. Dafür, dass Fischer heute das menschliche Schutzschild gab und die Schuldfrage um den Missbrauch deutscher Visa auf sich selbst und von seiner Partei weg zu ziehen versuchte, erntete er minutenlangen, tosenden Applaus. Doch die Grünen zu überzeugen, ist derzeit nicht Fischers größte Herausforderung. Zehntausende Visa erteilten deutsche Außenvertretungen in Fischers Amtszeit an zweifelhafte Bewerber, darunter kriminelle Schleuserbanden, die Frauen in die Zwangsprostitution und Männer in die Schwarzarbeit trieben. Was vor Wochen als Debatte um den "Volmer-Erlass" ("Im Zweifel für die Reisefreiheit") aus dem Jahr 2000 begann, hat sich längst zur Fischer-Affäre ausgewachsen. Fischer selbst hatte vor zwei Wochen seine erste Stellungnahme zum Visa-Skandal vermasselt, als er im Schneegestöber auf dem Gehsteig vor der Grünen-Zentrale die Verantwortung erst einmal auf seine Mitarbeiter im Auswärtigen Amt (AA) abzuwälzen versucht hatte. Diesen fatalen Ersteindruck zu tilgen war heute Fischers zweites Ziel. Er versuchte, das Bild eines zerknirschten, geläuterten, sich seiner Verantwortung bewussten Außenministers zu transportieren. Erstmals gestand er dabei persönliche Fehler ein.

Köstlich aber auch das Zusammenspiel mit Schröder: Der Kanzler sei begeistert über die offensive Darstellung gewesen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters aus dem Umfeld des Regierungschefs. Zusätzlich stärkte er seinem Außenminister per Interview den Rücken. "Alle Vorverurteilungen Außenminister Fischers sind falsch", sagte Schröder der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Auf die Frage, ob er unabhängig von den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses an Fischer festhalte, antwortete der Kanzler kurz und knapp: "Der Außenminister bleibt Außenminister." Mehr zum Thema in der Welt am Sonntag.

Update: Die meisten Pressestimmen können Fischers Rede wenig von einem "Befreiungsschlag" abgewinnen.