2005-09-19

Bundestagswahl: Zocken um die Macht

--- Mit diesem Wahlausgang hatten wohl weder Gerhard Schröder noch Angela Merkel gerechnet. Anders ist nicht zu erklären, was sich gestern abend in der Elefantenrunde von ARD und ZDF abspielte: Ein Bundeskanzler, der schon vor ab einige Gläser Wein getrunken haben soll, gerierte sich als alter und neuer Bundeskanzler, obwohl er die CDU als stärkste Fraktion den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten wird, und eine Bundeskanzlerkandidatin, die trotz der Mehrheit der Stimmen derart verloren hat, dass ihrem Blick nur noch Tränen fehlten, um das Unglück komplett visualisiert zu haben. Schröder der Spindoktor: Er weiß, dass die Union intern jetzt die Personalie Merkel diskutieren wird, dass sie vor allem bei den Stammwählern der Union (Katholiken) verloren hat, also demontiert er fleißig öffentlich mit und ruft sich als Kanzler aus, um den Druck auf Merkel zu verstärken. "Ich glaube an eine große Koalition unter meiner Führung."
Schröder spielte das Spiel so unverschämt mit einem Dauergrinsen, dass es selbst Spindoktor Schmidt-Deguelle unheimlich wurde. Er schüttelte im Willy-Brandt-Haus des öfteren den Kopf, als er Schröders Attacken am Fernseher verfolgte. Diese aber hatten System beim Zocker Schröder, auch wenn er damit reichlich Sympathie bei etlichen SPD-Wählern verloren haben mag. Die Strategie liest sich auf Schröders Homepage so: "Die Wählerinnen und Wähler in Deutschland haben entschieden: Sie haben dem von den Medien herbei geschriebenen Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb eine klare Absage erteilt. Sie wollen Angela Merkel nicht die Führung unseres Landes überlassen. Daraus ergibt sich für uns der Auftrag, mit den anderen Parteien über die Bildung einer neuen Regierung zu verhandeln."
Die neue Kommunikationsstrategie wird konsequent durchgezogen. SPD-Vorstandsmitglied Ute Vogt sagte schon nachts, die SPD sei die stärkste Fraktion, weil die CDU ohne die CSU hinter der SPD liege. Das bekräftigte Wolfgang Clement heute noch einmal in der FTD, die auch feststellt: "Ab 16.30 Uhr saßen Schröder und seine Frau Doris gemeinsam mit den Ministern Wolfgang Clement, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Manfred Stolpe und Peter Struck sowie den Länderchefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck im Büro von Münteferings zusammen. Dort wurde auch die Variante erdacht, CDU und CSU als zwei getrennte Parteien zu betrachten und damit die SPD zur stärksten Partei zu erklären. "
Zeit genug dazu hatten sie: Bereits das 14 Uhr-Zwischenergebnis zeigte an, dass es für CDU und FDP nicht reichen würde. Um 17.30 war dann alles klar: Schwarz-gelb war verhindert, die Partei jubelte im Willy-Brandt-Haus um 18.00 Uhr hinterher. Wen stört da schon, dass Rot-Grün verloren hat, dass die SPD fast das schlechteste Ergebnis seit Lafontaine eingefahren hat. Wenn auch Schröder nicht recht behalten und das Kanzleramt wird räumen müssen: Die Strategie wirkt zumindest als Seelenmassage, der sich in den vergangenen Wochen abzeichnende Sturz von Parteichef Müntefering ist fürs Erste abgewendet. Sollte es aber doch zu einer Schwarz-Gelb-Grün-Variante kommen, dann tritt das Erdbeben in der SPD noch auf, wenn auch etwas später - wegen des Spindoctorings.