2005-09-22

Die Schlagzeilen-Geber

--- Spindoktoren sind Menschen, die die Sicht der Dinge gerne aus ihrer Sicht diskutieren wollen. Dazu brauchen sie aber Journalisten, die ihre Sicht der Dinge öffentlich zur Schau stellen. Auch Medien wollen die Welt so darstellen, wie sie sie sehen oder gerne sehen wollen. Im Wahlkpamf musste das Gehard Schröder spüren, als seine Spindoktoren weniger erfolgreich waren, die Zeitungen den Demoskopen folgten und der "Kanzlerin" Angela Merkel den Hof machten. Noch am Wahlabend versuchte Schröder in der Elefantenrunde seine Interpretation der Wahlergebnisse durchzusetzen. Sein Frust war nicht unbegründet: Selbst die Süddeutsche Zeitung hatte sich im Wahlkampf distanziert, was so manchen Wahlkampf-Manager bei der SPD frustrierte.
Inzwischen aber scheint alles wieder im Lot zu sein. Nachdem der SZ-Büroleiter Berlin, Christoph Schwennicke, noch im Frühjahr mit einem Aufmacher die Kapitalismus-Debatte, die die SPD lostreten wollte, ins nötige mediale Rollen brachte (was allerdings bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nicht mehr half), versucht er es jetzt aufs Neue. "SPD will Unionsfraktion sprengen", titelt die SZ heute. Woher hat er die News? Natürlich wieder einmal von der SPD. Und warum gerade heute? Weil SPD und Union sich zu ersten Sondierungsgesprächen treffen und die SPD zwischen CDU und CSU Zwietracht säen will. Sie plant, die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU per Geschäftsordnung aufzulösen, um so als stärkste Fraktion (als Partei sieht sie sich ja bereits so) den Ton anzugeben.
Am Tag des SZ-Kapitalismus-Aufmachers sagte der SPD-Pressesprecher, etwas besseres hätte der SPD gar nicht passieren könnne. Mal abwarten, was er jetzt sagt. Heribert Prantl jedenfalls kommentiert in der selben Ausgabe der SZ die Pläne der SPD, die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu ändern, um das Kanzleramt zu halten mit den Worten "Die Trickdemokraten".
Vor allem aber beantwortet die SZ gar nicht, mit welcher Mehrheit denn eine Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geändert werden kann. Die Antwort auf die Frage erst zeigt, ob in den SPD-Plänen ein Bluff oder Trickserei zu sehen ist. §126 jedenfalls sagt:
"Abweichungen von den Vorschriften dieser Geschäftsordnung können im einzelnen Fall mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages beschlossen werden, wenn die Bestimmungen des Grundgesetzes dem nicht entgegenstehen."

UPDATE: Müntefering hat gerade angekündigt, dass er keine Änderung der Geschäftsordnung will. Die Grünen haben das begrüßt.

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Und sonst: Die Zeit beschäftigt sich in einem sehr guten Artikel ("Der Spieler") mit der Gefühlslage des Kanzlers am Tag nach der Wahl (Besuch im Kanzleramt) und der SPD und erklärt die Motive für die Vorfälle der letzten Tage. O-Ton Schröder zu seinem TV-Auftritt: "War nicht gut, ich weiß."