2005-09-11

Gewissensnöte vor dem Wahltermin

--- Der Trend geht klar zur Zweitverwertung auch in Blogs, daher hier Ausschnitte aus meinem aktuellen Wahlkrampf-Beitrag im Wahltagebuch:
Habe nun, ach, die Wahlprogramme der größeren Parteien studiert, neben dem Wahltagebuch brav auch die überparteilichen Polit- und Wahlblogs mit den mehr oder weniger einfallsreichen Namen Wahlblog, Wahlblog05 oder lautgeben.de regelmäßig konsultiert sowie den „Kampagne 05“-Newsletter eines Politverlags und die „Presseschau Wahlthemen“ der Bundeszentrale für politische Bildung abonniert. Mit dem Phrasinator 3.0 habe ich mich guten Mutes auf eine große Koalition einzustellen versucht, auch wenn die Bild-Zeitung mir gerade klar machte, dass sich dieses immer heftiger umhergeisternde Schlagwort nur mit „Ganz großer Blockade“ übersetzen lässt. Die „Welt“ stieß ins gleiche Horn und verdeutlichte schon lautmalerisch, dass wohl wenig von einer „Groalition“ zu erwarten wäre. Und doch komme ich in der Endphase vor dem erneuten „Richtungs- und Schicksalswahltag“ nicht nur wegen der Juli-Temperaturen ins Schwitzen und spüre die Crux mit dem Kreuzchen immer schwerer auf mir lasten. Zumal die Briefwahlunterlagen schon vor mir liegen. Sollte ich etwa zu den 30 Prozent der Unentschlossenen zählen, die Wahlforscher ausgemacht haben? Zum x-ten Male werfe ich den Wahl-O-Mat an und wechsle dann unbefriedigt mit dem immer gleichen Ergebnis hinüber zur noch taufrischen Kandidaten-Empfehlungsmaschine „Wen Wählen?“ – aber dort haben bislang erst zwei mögliche Volksvertreter meines Wahlkreises ihr Profil ausgefüllt und ihre mir letztlich bekannt vorkommenden Wahlversprechen zu Protokoll gegeben. Müssen doch die Würfel fallen? Oder muss ich mir gar Argumente zurechtlegen, um ins Lager der Nichtwähler überwechseln zu dürfen? ... Da steh ich nun, ich armer Tor … Bleibt nur noch eins: Heute Abend wird die ultimative Prioritätenliste gemacht, was mir am wichtigsten ist. Dann wird die persönliche Bilanz gezogen von sieben Jahren Rot-Grün und der schon etwas verschwommen Kohl-Ära zuvor. Von den Versprechungen in den Wahlprogrammen werden 98 Prozent abgezogen. Mit wem sich dann noch die größten Gemeinsamkeiten ergeben, der kriegt meine Stimme gemäß dem Motto: „das kleinere Übel wählen“. Umschlag zu — und alles wird besser. Danach verhänge ich mir eine einwöchige Nachrichtensperre. Denn man kennt das ja: just nach dem Kauf eines Investitionsgutes findet man bei der weiteren Suche ein noch viel vorteilhafteres Angebot. Und meine persönliche Agenda 2030 heb ich mir auf bis in vier Jahren (oder mal wieder eher?), damit die Entscheidung dann einfacher wird. Notfalls muss die dann herhalten für: Warum-ich-jetzt-wirklich-nicht-mehr-waehle.de.
Interessant auch ein Kommentar dazu: Brauchen wir mal alle Ruhe? Ruhe zum Nachdenken, zum Luftholen-ja auch zum diskutieren? ... Ein Bekannter sagte kürzlich zu mir: Ich komme mir so alleine vor, weil ich mir Gedanken mache. Gedanken über den Zustand unserer Gesellschaft.Einsam sein, weil man sich Gedanken macht. Traurige Realität in Deutschland.

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