Cicero: Schilys Angriff auf die Pressefreiheit
--- Nicht nur in den USA steht mit dem Fall Miller gegenwärtig die Pressefreiheit auf dem Prüfstand, sondern mit dem Fall Cicero auch weiter in Deutschland. Nachdem Spiegel Online schon ausgiebig über Otto Schilys seltsamen Auftritt bei einem Verlegerkongress vor kurzem berichtet hatte, zieht der Print-Spiegel jetzt noch einmal nicht weniger ausgiebig nach und wirft dem Bundesinnenminister "Maßlosigkeit" und "verfassungswidrige" Ansichten vor. Da sind wir ja auf die Retourkutsche des roten Sheriffs gespannt. Es zeichnet sich eine handfeste Auseinandersetzung zwischen den demokratischen Institutionen ab:
Der deutsche Innenminister kennt die deutsche Verfassung besser als alle anderen. Redakteuren, die zu frech fragen, erklärt er sie gern: "Für Journalisten steht nichts im Grundgesetz." Auch was "fairer Journalismus" ist, erläutert er den Medienleuten: Unfair sei es, wenn eine Zeitung über das Wahlprogramm der Opposition auf der Seite 1 berichtet, über das Wahlprogramm der "größten Regierungspartei" aber nicht. "Ist das Medium der Souverän?", fragt er streng und empfiehlt: "Das sollte sich jeder mal im stillen Kämmerlein überlegen." So ist er, der Otto. Sieben Jahre lang haben Journalisten, Genossen und Oppositionspolitiker den Theorien des sozialdemokratischen Verfassungsministers zur Pressefreiheit im Vertrauen darauf zugehört, dass über die Frage, was im Land geschrieben werden darf, nicht das Bundesinnenministerium zu entscheiden hat. ... In einem Rundumschlag vermischte Schily die Kritik seiner Partei an der Wahlberichterstattung einiger Medien mit dem Streit um einen missglückten Versuch seines Hauses, per Durchsuchung beim Monatsmagazin "Cicero" eine undichte Stelle beim Bundeskriminalamt (BKA) aufzuspüren. Zeitungsleute und Fernsehjournalisten, wütete Schily, hätten nicht nur Machtmissbrauch betrieben und seine Regierung kaputtgeschrieben, sie beanspruchten auch in dreister Weise, sich "außerhalb der Gesetze" zu stellen, indem sie ständig und kritisch Interna aus der Regierung verbreiteten und sich Unterlagen aus dunklen Quellen beschafften: "Bei uns ist es nicht mehr möglich am Ministerium, auch mal ein Brainstorming zu machen, ein Papier erarbeiten zu lassen, ohne dass dann gleich sich das jemand schnappt." Der Minister sah geradezu die Machtfrage berührt: "Wir lassen uns nicht das Recht des Staates nehmen, seine Gesetze durchzusetzen." Mit geduldigen Erklärungen, drohte Schily, sei es nun nicht mehr getan: "Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Diskretion im Staat da, wo sie notwendig ist, auch durchsetzen." Wegen "Beihilfe zum Geheimnisverrat" seien alle Journalisten zu verfolgen, die sich geheime Papiere wie "eine Trophäe" ansteckten und damit die Arbeit des Staates behinderten: "Stichwort 'Cicero'". Das Stichwort saß. Die Durchsuchung beim Potsdamer Monatsblatt vor gut zwei Wochen ist das bislang heftigste von Schily statuierte Exempel seiner neuen Auslegung von Pressefreiheit. Heribert Prantl, Innenpolitikchef der "Süddeutschen Zeitung", wies Schily auf die Sprengkraft der Aktion hin: Zwei Minister mussten 1962 gehen, als Vergleichbares beim SPIEGEL geschah: "Nur dass diesmal das Opfer nicht Rudolf Augstein heißt." ... Wenn der Innenminister tatsächlich vorhat, die Verwendung des Strafrechts wie im Fall "Cicero" zur Regel zu machen, ist dies offener Verfassungsbruch. Denn durch die waghalsige Auslegung des Amtsparagrafen gegen Journalisten wird deren vom Grundgesetz gewährleistetes und in der Strafprozessordnung ausziseliertes Zeugnisverweigerungsrecht ausgehebelt: Natürlich hätte der kein Recht zur Zeugnisverweigerung über seine Quellen, wer selbst ein Gehilfe der Tat ist. Ganz konsequent war es da nur, dass Schilys Ermittler auch versuchten, an die Verbindungsdaten von Schirras Handy heranzukommen. Die Vorschrift, nach der so etwas möglich ist, hatte der Bundesinnenminister dem Parlament nach dem 11. September mit dem Argument abgerungen, es gelte, Terroristen zu jagen. Nun gilt es halt, Journalisten das Handwerk zu legen, was im Fall Schirra misslang: Die Daten waren von der Telekom schon gelöscht worden. Dass die Inspektion im Haus des Journalisten etwas bringen könnte, bezweifelten selbst die BKA-Verantwortlichen. Amts-Vize Bernhard Falk teilte der Potsdamer Staatsanwaltschaft Ende August mit: Selbst wenn die gesuchte Datei in Schirras Büro sicherzustellen wäre, "würde sich der Rechner, auf dem der Kopiervorgang durchgeführt wurde, nicht zuordnen lassen". Eine Durchsuchung, die von vornherein den erstrebten Zweck nicht erreichen kann, ist ungeeignet. Und ein ungeeigneter Eingriff in die Freiheit der Redaktionen ist willkürlich und damit verfassungswidrig. ... Franz Josef Strauß hatte noch versucht, sich herauszulügen. Schily erklärt seinen Rechtsbruch zur Staatsräson. ... Einschüchtern, entmutigen: Das ist der Staat, den Otto Schily den Journalisten entgegenhält. Sein rechthaberisches Beharren darauf, dass die sich nun mal "nicht von Gesetzen freizeichnen können", offenbart ein vorkonstitutionelles Staatsverständnis. Denn im Staat des Grundgesetzes ist Gesetz nicht Gesetz - auch nicht dann, wenn es von Otto Schily durchgesetzt ist. Gesetze, soweit sie Grundrechte wie die Pressefreiheit einschränken, sind zwingend zu Lasten des Staates und zugunsten der Freiheit auszulegen. Und Artikel 5 der Verfassung erlaubt speziell die Einschränkung der Pressefreiheit nur, soweit sie dem Schutz von Interessen dient, die im Einzelfall wichtiger als der Schutz der freien Presse sind.Ein wenig sauer dürfte der Spiegel eventuell auch sein, dass nicht er das Opfer der von Schily angeordneten Durchsuchungen wurde, sondern das deutlich kleinere Cicero. Aber allenthalben geht der Innenminister seit langem in so manchem Bereich viel zu weit und mimt den kleinen Diktator.
Update: Mehr zum Thema inzwischen auch in Telepolis. <a href="http://del.icio.us/esmaggbe/pressefreiheit" rel="tag">pressefreiheit</a>
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