Saddams Hinrichtungsvideo schlägt Wellen
--- Das kurz nach Saddam Husseins Hinrichtung auf dem Schaffot im Netz aufgetauchte Handy-Video über die letzten Minuten des irakischen Diktators, das inzwischen auch über gängige Videoseiten wie YouTube für eingeloggte Nutzer zu betrachten ist, beschäftigt die irakische Regierung:
Wer filmte den Tod Saddam Husseins und wie kamen die Bilder ins Netz? Die irakischen Behörden wollen es herausfinden. Sie suchen nach dem Mann, der das Video von der Hinrichtung Saddam Husseins mit seinem Handy aufnahm. Der Film sorgt für neue Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten. Auch die Verantwortlichen dafür, dass die Bilder ins Internet kamen, sollten ausfindig gemacht werden, sagte ein Mitarbeiter von Regierungschef Nuri el Maliki. ... Die zwei Minuten und 38 Sekunden langen inoffiziellen Aufnahmen unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von dem Film, der von der Regierung veröffentlicht wurde: Auf dem Band ist zu sehen und zu hören, wie der ehemalige Diktator bis zum letzten Moment beschimpft und verhöhnt wird. ... Der Handy-Film war zu einem Renner unter den Schiiten des Landes geworden, die sich die Bilder vom Tod ihres Erzfeindes gegenseitig weiterreichen.Bei der Morgenpost/Welt hatte der Voyeurismus der Surfer zuvor Erstaunen ausgelöst: Im Irak zeigen Eltern ihren Kindern das Hinrichtungsvideo jetzt auf Handys. Im Internet wird es auf verschiedenen Seiten wie ein neuer Kino-Film angepriesen: "Die Exekution von Anfang bis Ende", heißt es da, und: "Das ist nicht für Personen geeignet, die schwache Nerven haben." In der Rubrik Bewertung steht: 15 Punkte. Es ist eklig, was da gerade auf Millionen Computer-Bildschirmen und Handys passiert. Menschen zahlen teilweise sogar Geld dafür, um einen anderen Menschen sterben zu sehen, um die letzten Minuten seines Lebens, die Todesangst in seinen Augen miterleben zu können. Dazu reichen wenige Klicks, dabei stören, wenn überhaupt, nur ein paar Werbebotschaften im Internet. Widerlicher und abartiger können Neugier und Voyeurismus nicht sein. Was sind das für Menschen, die bei solchen Bildern hin- und nicht sofort wegsehen? Die sich die Mühe machen, im Internet das Saddam-Video zu suchen? ... Es bleibt zu hoffen, dass das öffentliche Ende Saddam Husseins nicht der Beginn einer neuen Selbstverständlichkeit von grausamen Bildern im Web und in anderen Medien ist. Vor allem zum Schutz der Kinder: Wenn schon fiktive Computerspiele junge Menschen dazu bringen können, Amok an ihren Schulen zu laufen, mag man sich die möglichen Auswirkungen einer echten Hinrichtungsszene lieber nicht ausmalen. Nichtsdestoweniger zeigen die Online-Ausgaben der Springer-Blätter das komplette Filmchen in ihren Video-News von heute (Rubrik: Ausland: Saddams Hinrichtung: Die letzte Minute vor seinem Tod"); Doppelmoral kann man das wohl nennen.
Dazu gibt es noch einen lesenswerteren Beitrag über die Inszenierung der Hinrichtung: Die Amerikaner, in deren Hand sich Saddam bis kurz vor seinem Tod befand, hatten ein klares Interesse, seinen Tod zu einem Symbol für einen "neuen" und hoffentlich besseren Irak zu gestalten, korrekt, rechtsstaatlich und fair. Und sie wollten die irakische Regierung nicht bevormunden. Die Regierung hingegen, dominiert von jenen Schiiten, die unter Saddam Hussein verfolgt, ermordet und gefoltert wurden, wollte die Hinrichtung als eine letzte Demütigung Saddams inszenieren, vielleicht sogar als Demütigung für die Sunniten des Irak und als Symbol der neuen schiitischen Macht. Das Ergebnis war ein seltsames Ringen zwischen Regierung und Amerikanern. Letztere hatten alle Ressourcen mobilisiert, um den Ex-Diktator zu dämonisieren und zur Strecke zu bringen; aber in den letzten Stunden seines Lebens und auch nach seiner Hinrichtung wurden sie fast zu Wahrern seiner Menschenwürde. Die Hinrichtung geriet trotzdem zu einem Spektakel der Würdelosigkeit im Umgang mit dem Todgeweihten.
Und sonst: Die NYT hat sich in den wenig jugendfreien Alternativen zu YouTube/MySpace wie LiveLeak oder Stickam.com unter dem Aufhänger "Young Turn to Web Sites Without Rules" umgeschaut: where do the young thrill-seekers go? Increasingly, to new Web sites like Stickam.com, which is building a business by going where others fear to tread: into the realm of unfiltered live broadcasts from Web cameras. ... Last March, under additional pressure from copyright holders, YouTube placed a 10-minute limit on clips. Smaller start-ups who are not able, or willing, to be as diligent are seeing their audiences explode as users seek the more freewheeling environment that typified YouTube’s early days. Users post 9,000 new videos a day to Dailymotion, which had more than 1.3 million visitors in November, up more than 100 percent since May ... Another new video-sharing site, LiveLeak, based in London, has positioned itself as a source for reality-based fare like footage of Iraq battle scenes and grisly accidents. Last week, popular clips on the site included one of an agitated man in Muslim dress on a fast-moving treadmill and video of an American A-20 aircraft bombing Taliban forces in Afghanistan. Hayden Hewitt, a co-owner of LiveLeak, said that people who have been barred from YouTube for uploading explicit footage of the Iraq war have migrated to his site. LiveLeak “won’t ban anyone for showing the truth,” Mr. Hewitt said. The site also features ample sexual content that would never make it onto YouTube or MySpace.
Wolfgang Schäuble dreht voll auf: Nach Anti-Terrordatei, Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz und "Online-Durchsuchungen" mit Trojanern will er nun offen am Grundgesetz mit der Erfindung der Krücke vom "Quasi-Verteidigungsfall" herumdoktern. Die dürften dann wohl bald für noch einiges mehr herhalten müssen. Der Widerstand gegen die "Lizenz zum Töten" ist zumindest beträchtlich.
Labels: CitizenJournalism, irak, schäuble, video
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