re:publica: Die deutsche Bloggerszene nach dem Hype
Deutsche "Alpha-Blogger" zeigten sich zum Auftakt der größten Konferenz der noch jungen "Branche" in Berlin größtenteils ernüchtert über die eigenen Möglichkeiten und ihre gesellschaftliche Relevanz. "Die ganz große Aufregung um Blogs ist verschwunden", konstatierte Stefan Niggemeier, der als klassischer Medienjournalist und Blogger seit einigen Jahren zwischen beiden Welten wandelt, am heutigen Mittwoch auf der re:publica. Die traditionelle Presse habe herausgefunden, "dass man sich aus Sicht des Publikums" nicht wirklich mit den eifrigen Betreibern von Webjournalen beschäftigen müsse. Zugleich zeigte sich der Autor enttäuscht darüber, "wie wenig eigenen Content Blogs generieren". Die meisten würden nach wie vor als zwar durchaus interessante Wegweiser zu interessanten Inhalten im Web fungieren, diese aber nur in selten Fällen selbst publizieren oder "große politische Debatten" starten. Das Potenzial von Weblogs liege so ziemlich brach, vermisste Niggemeier "viel mehr Leute mit Sendungsbedürfnis".
Robert Basic, der mit der Versteigerung seines Stammblogs "Basic Thinking" für 46.902 Euro vor kurzem einen größeren Medienrummel auslöste und mittlerweile seine Notizen unter eigenem Namen weiter führt, beklagte eine Medienkampagne gegen die Konkurrenz von unten. Die Betreiber von Web-Journalen seien gerne als "Pyjama-Blogger" abgetan worden und dem hätte die Szene zu wenig entgegengesetzt: "Wir haben uns beeinflussen lassen von den Stimmen, die aus der Presse kamen." Selbst verdient Basic aber monatlich zwischen 3000 und 5000 Euro mit Bloggen und kann sich nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beschwerden. Er räumte auch ein, dass sich die Vorturner der Zunft manchmal etwas zu wichtig genommen hätten: "Wenn du gelesen wirst von ein paar tausend Leuten, denkst du, du bist der King."
Vor allem auf spezielle Themen zugeschnittene Blogs florieren laut Sascha Pallenberg, Betreiber von Netbooknews.de, unterdessen: "Ich bin vom Erfolg völlig überrannt worden." Schon zwei Monate nach dem Start seiner Aktivitäten vor eineinhalb Jahren habe er seinen Job in den USA gekündigt, nach drei Monaten bereits fünfstellige Umsätze gemacht und pendele nun zwischen den Kontinenten. Viele deutsche Kollegen würden aber zu viel nachdenken, statt einfach zu experimentieren. Weitere Besonderheit der deutschen Blogosphäre sei es, dass "mehr gegen- als miteinander gearbeitet wird". Es gebe auch wenig "professionelle" Blogger hierzulande, stichelte der Weltenbummler selbst lautstark mit: "Man muss eine auffällige Frisur haben oder sich einen pseudo-intellektuellen Touch geben."
Auch Markus Beckedahl von Netzpolitik.org und Mitorganisator der dieses Jahr rund 1400 Besucher anziehenden Konferenz fühlte sich in seiner Nische wohl und zeigte keine Berührungsängste zu anderen Bloggern in seinem Beritt. Er begrüßte vielmehr, dass davon eine "netzpolitische Bewegung" ausgehe und freute sich über bloggende Mitstreiter im Kampf gegen Internetzensur oder rund um Datenschutzfragen.
Einig waren sich die Podiumsteilnehmer, dass ihre rechtliche Situation prekär sei und dringend klarere Gesetze vor allem zur Haftung der Forenbetreiber nötig seien. Beckedahl monierte, dass die Politik schon beim Erlass des Telemediengesetzes (TMG) eine Nachbesserung in diesem Bereich versprochen habe. Nun wolle das Bundeswirtschaftsministerium das Konstrukt zwar wieder anfassen, aber nur, um Websperren vorzuschreiben. Basic sah daher den Bedarf an einer professionellen Interessensvertretung für Blogger immer größer werden: "Jeder kann mich in Grund und Boden klage, nur, weil ich schreibe." Wenn das so weitergehe, sei mit einer "Internetrevolution" im Stile von 1848 zu rechnen.
Unterschiedlich nahm die Runde die neu dazugekommenen Selbstmitteilungsformen in sozialen Netzwerken oder über Twitter auf. Niggemeier empfand die Plattform für "Mikro-Blogging" als "Verlust", da sie zu kurzatmig und flüchtig sei. Gängige Einträge in Blogs könnten dagegen zwar auch schnell sein, zugleich aber mehr Bestand haben. Pallenberg lobte Statusmeldungen etwa auf Facebook dagegen als "gute Ergänzung" zum eigentlichen Web-Journal. Auch Beckedahl sah darin eine Anreicherung der Kommunikationslandschaft und hatte gleich eine Idee für ein aussichtsreiches Startup parat: "Es müssen Wege gefunden werden, um die Diskussionen wieder zusammenführen."
Der US-Blogforscher John Kelly hatte zuvor den Appell ausgegeben, die Blogosphäre "offen, frei, transparent und reich an unterschiedlichen Stimmen" zu halten. Seinen Messungen der Verlinkungen zwischen Blogs innerhalb verschiedener Sprachräume und zwischen diesen einzelnen Meta-Netzwerken hätten ergeben, dass sich ein viel enger verknüpfter sozialer Interaktionsraum ohne große Grenzen zwischen einzelnen Mediengattungen entwickle. Das Diagramm zur deutschen Bloggerszene erinnerte ihn dabei an das Abbild der USA in seinen frühen Tagen, da die meisten Links noch auf die traditionellen Medien ausgerichtet seien. Diese Verknüpfungen hätten aber nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Einen "viralen", lang anhaltenden Charakter könnten dagegen vor allem Links auf YouTube-Videos annehmen. Für Johnny Haeusler von Spreeblick.com sind Blogs zudem "im Mainstream" angekommen, erläuterte der Mitveranstalter das Konferenzmotto "Shift happens": "Wir werden die ersten vernetzten Rentner sein, auch wenn wir keine Rente mehr kriegen."
Labels: re:publica, web2.0, weblogs
1 Comments:
Vielen Dank! Ich habe nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben - aber nur dank des Beitrags.
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