2010-04-14

Das "Spinternet"

--- Der in den USA forschende Politikwissenschaftler Evgeny Morozov, ein gebürtiger Weissrusse, hat auf der re:publica 2010 Propagandamöglichkeiten im Internet ausgelotet und zeigte sich skeptisch gegenüber der These der Demokratisierung durch neue Medien:
Morozov, der den Verfall der sowjetischen Hegemonie in Weißrussland als Aktivist miterlebt hat, beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie Diktaturen das Netz nutzen können, indem sie aus dem Internet ein Spinternet machen, dass die offiziellen Verdrehungen (Spin) propagiert. Er wies auf die Tatsache hin, dass gerade moderne autoritäre Regierungen wie Singapur relativ unabhängige Medien erlauben, so lange diese nicht direkte Kritik am Regime üben. In diesen Ländern sei ein regierungsamtlich gesteuerter digitaler Aktivismus denkbar, den Morozov als "Crowdsourcing, Dictator's Cut" brandmarkte. Harsche Kritik übte der Wissenschaftler an Theorien, die von der Digitalisierung selbst schon Demokratisierung erwarten: "Das Verändern der Verhältnisse, die Durchführung einer Revolution ist NICHT mit dem Verbessern eines Eintrags auf Wikipedia vergleichbar. Wer von den kostengünstigen Informationsmitteln schwärmt, muss bedenken dass sie auch für Gegenrevolutionären kostengünstig sind." Für die meisten autoritären Staaten der Welt sei die Vernetzung und Digitalisierung eine Chance. Die Herrscherkasten können so simulieren, dass sie auf das Volk hören, während sie via Facebook das Volk belauschen.
Lesenswert auch ein Gespräch in der FAZ mit den Social-Network-Experten Clay Shirky zum gleichen Thema, hier ein Ausschnitt zum Iran:
Waren denn die iranischen Onlinekampagnen wirklich so hochgradig synchronisiert, und wie hat das die eigentlichen Proteste beeinflusst? Ja, hier gab es eine sehr dynamische Onlinekampagne - aber dass die sich auf die Koordination in der wirklichen Welt erstreckt hätte, konnte ich kaum feststellen. Wie viele Demonstranten, die vorher nicht eingeweiht waren, sind wegen etwas, das sie bei Twitter oder auf Facebook lasen, dann wirklich auf die Straße gegangen? Es gab zwar ein hohes Maß an Abstimmung in der digitalen Welt, aber dass dies zu koordinierten Straßenprotesten geführt hätte, bezweifle ich eher.

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